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Wer reist, will was Neues sehen. Neben exotischen Landschaften lockt dabei auch die Vorstellung »andere Kulturen« und »fremde Lebenswelten« kennen lernen: mit anderen Menschen ins Gespräch kommen, sich gegenseitig vom eigenen Leben erzählen, andere Erfahrungen austauschen, Freundschaften schließen...

Doch diese anfänglichen Hoffnungen auf interessante Begegnungen weichen auf Fernreisen meist recht schnell einem eher distanzierten Umgang mit den Bereisten. Kontakte gibt es – nur nicht die, die man sich vorgestellt hat. Ob unterwegs in Jamaika, Togo, Südafrika oder wo auch immer, die Bevölkerung scheint aus Sicht der Reisenden nur aus StraßenhändlerInnen und Guides zu bestehen, Kommunikation bleibt auf Kaufen und Verkaufen beschränkt, »How much?« wird zur Begrüßungsformel. Statt »interkulturellem Austausch« werden Vorurteile weiter ausgebaut und man hängt nur noch mit anderen Travellern ab. Wie kann man als ReisendeR darauf reagieren? Welche Möglichkeiten und Grenzen interkultureller Begegnung bestehen beim Reisen?

FernWeh 2004




Rückreise außer Plan

von Aga Zimowska

Die ersten wackeligen Schritte in Togo machten wir Monate bevor wir den rötlichen Sandboden tatsächlich unter den Füßen hatten. Mit jeder weiteren Erzählung von Insas altem togolesischen Schulfreund entstand so etwas wie ein erstes, aber verdammt lebendiges, lautes, fast schon greifbares Bild des westafrikanischen Landes am Golf von Guinea.

Ich kenne Insa seit Jahren; eine wirklich alte Freundin, mit der ich schon manches Mal verreist bin und am Straßenrand gepennt habe. Als wir in einem Gespräch darauf kamen, dass wir beide das vertraute Europa überschreiten wollen, war es nahe liegend, es zusammen zu tun. An einem Oktobermorgen schlappten wir mit dicken Rucksäcken und einer Adresse aus Lomé schweigend, aber aufgeregt zum Flughafen-Bustransfer. Sicherlich hatten Insa und ich unterschiedliche Erwartungen an die geplanten drei Monate in Togo und Ghana. Insa schien mir voll in eine fremde Welt eintauchen zu wollen, auf der Suche nach Erfahrungen mit sich, den Menschen, der Natur. Erfahrungen, die sie ein Leben lang tragen und von ihnen zehren würde. Oft hat sie gesagt: »Das musst du jetzt ganz tief in Dir aufbewahren, damit Du es nie vergisst!« Das hatte fast schon etwas Mystisches. Ich wollte keine Feldstudien betreiben (ich studiere Ethnologie), sondern wollte mich ebenso öffnen und treiben lassen. Ich wollte einen Level, auf dem wir voneinander erzählen, einander Dinge zeigen könnten – vielleicht auch Freundschaften schließen.

Ich habe gehört, dass mensch Afrika entweder lieben oder hassen lernt. Dazwischen gäbe es nichts. Bescheuerte Verallgemeinerung! Genauso wenig wie Afrika ein Ganzes ist, so wenig rigoros kann ich behaupten, dass diese Zeit in Togo mein Herz extrem erwärmt oder erkaltet hätte. Es war einfach eine krasse Zeit mit vielen eigenen Grenzerlebnissen. Aber ich weiß, dass ich sehr viel von dem Erlebten durch einen eigenartigen Schleier wahrgenommen haben muss. Sicher, die Malariaprophylaxe habe ich nicht vertragen. Zusammen mit der plagenden Amöbenruhr, die ich mir mit dem straßenverkauften Salat eingefangen hatte, schuf das in mir eine Grundstimmung, die mich zu Misstrauen veranlasste. Meine anfängliche Offenheit gegenüber den Menschen, die täglich auf uns zukamen, verwandelte sich immer mehr in Distanziertheit. Sicherlich war es nicht nur diese chemische Angelegenheit, sondern auch der Verlust von Naivität, der mit jedem Tag, mit jeder Begegnung, jeder Beobachtung voranschritt.

Wir zwei weiße reisende Frauen sind in eine Gesellschaft geplatzt, in der Frauen eine enorme Präsenz in der Öffentlichkeit einnehmen. Sie verkaufen, handeln, führen kleine Geschäfte und Salons, ziehen Kinder auf und unterhalten oft die ganze Familie. Sie sind überall wahrnehmbar, hörbar, und doch für uns so unnahbar. In den zwei Monaten haben wir mit zwei Frauen intensiveren Kontakt gehabt. Sie hatten sich Zeit für uns genommen, wir konnten uns sprachlich verständigen, ein Austausch oder Vermitteln war möglich. Und doch lernten wir Agnés und Adolé letztendlich über Männer kennen. Männer begleiteten uns den ganzen Tag. Seien es die Militärposten, die immer besondere Aufmerksamkeit auf uns warfen, wenn sie ihren Blick durch die voll gepackten Buschtaxis streifen ließen und auch eine ebensolche überfreundliche Aufmerksamkeit von uns erwarteten. Seien es welche, die wir nach dem Weg fragten. Prompt versammelte sich eine Schar, um zu schäkern, zu beäugeln, Bemerkungen zu machen. Seien es die Jungen in ihren Schuluniformen, die uns zehnfach am Tag anzischten (es gibt diesen Aufmerksamkeitslaut, der irgendwo zwischen Gaumen und Zähnen entsteht): Ksskss, Yovo (Weiße), lasst uns Adressen tauschen. Und Männer auf der Straße, in Bars, auf den Märkten, auf Mofas, die nach dem ersten Begrüßungssatz gleich heiraten wollten. Die Beständigkeit ihrer Annäherungen war ungewohnt und anstrengend. In unserem eigenen Kulturkreis hätten wir gewusst, wie wir uns eine Distanz verschaffen können. Aber in Togo werden die Zeichen anders gedeutet, abweisende Körpersprache nicht unbedingt als Desinteresse verstanden, und ein direktes Nein auf den floskelhaften Heiratsantrag als Mangel an Manieren missbilligt. Es blieb nur übrig, alle zu ignorieren, zuzumachen oder sich auf die ihnen schmeichelnde Floskelebene einzulassen. Das Anstrengendste, Enttäuschendste und Schwierigste war das Dichtmachen. Schließlich wollten wir die Menschen kennen lernen...

Ich muss ganz klar stellen, dass wir uns nie bedroht gefühlt hatten, geschweige denn wurden. Dank vieler Togolesen war es möglich, durch das Land zu reisen und immer wieder neue Anlaufstellen zu finden: Leute, die sich Zeit genommen haben, ihre Gegend gerne zeigten, erzählten und vermittelten. Selten haben wir bei Leuten zu Hause schlafen wollen, weil eine billige Auberge eher den notwendigen Rückzugsraum nach einem kontaktreichen Tag bot.

Wir zwei weiße Frauen sind in eine Gesellschaft geplatzt, in der es für uns keine Kategorie und keine Aufgabe zu geben schien. Nicht arbeitend, auf Märkten streunend, am Strand diskutierend, manchmal im Restaurant, dann wieder auf der Straße Koliko essend, Buschtaxi fahrend. Wo sollten wir junge Frauen hineinpassen? Was war unser Ziel, was unsere Position? Wir wurden zu Prestigeobjekten, zu begehrten Mittelpunkten und auch zu Geberinnen gemacht. Uns fiel auf, dass viele Geschichten erzählt wurden – nur, um uns für Konsumiertes aufkommen zu lassen. Nicht, dass wir nicht von uns aus sowieso dazu bereit gewesen wären, weil meistens die finanziellen Verhältnisse ganz deutlich auf der Hand lagen. Doch es entstand das Gefühl, die Menschen würden sich mit ihrer Aufmerksamkeit in eine Art wirtschaftliche Beziehung zu uns stellen wollen. Nicht einfach der Neugierde aufeinander oder der Freundschaft wegen. Nein – eine Hand wäscht die andere. Ich kann es bei den Lebensbedingungen, der gigantischen sozialen Ungleichheit, niemandem verübeln, in den Touristen erst mal eine Prestige- und Geldquelle zu sehen, die kurz mal das Leben verändern könnten. Aber in dieser Rolle fühle ich mich fremd und unwohl.

Ich wollte so sein können, wie ich mich wahrnehme; auf jeden Fall auf der freundschaftlichen, gleichwertigen Seite mit den Menschen. Aber vielleicht bin ich letztendlich in den zwei Monaten, was wahrlich keine lange Zeit ist, zum ersten Mal persönlich auf eigene Grenzen von Kulturzugehörigkeit, »klassentypischen« Verhalten und Geschlechterverhältnisse gestoßen, die meine Kräfte überschritten und zur vorzeitigen Rückkehr bewogen haben.

Aus: FernWeh – Die Jugendbroschüre, Freiburg 2000




Deutschlandbild in Afrika

von Elena Futter

Ich liege auf meiner Isomatte in Agomé Tomégbé und kann nicht einschlafen. Draußen wird noch gesungen, aber daran liegt es nicht. Nach dem Abendessen bin ich irgendwie mit Paul und Sylvestre, den Campleitern, in ein Gespräch über Kolonialismus geraten. Obwohl ich nicht zum ersten Mal mit einer positiven Überzeichnung angeblich deutscher Eigenschaften konfrontiert wurde, konnte und kann ich damit einfach nicht gut umgehen. »Togo wäre besser dran, wenn die Deutschen den Krieg gewonnen und ihre Kolonien behalten hätten« - »Die Deutschen haben uns das Christentum gebracht, unsere Sprache verschriftlicht, eine Eisenbahn gebaut, und dann kamen die Franzosen. Sie haben uns nichts gebracht, uns nur ausgebeutet« - »In Deutschland ist alles viel sauberer und ordentlicher als in Frankreich«, ergänzt Paul, der letztes Jahr beide Länder besucht hat. Er hat mir Fotos gezeigt von sich vor der East Side Gallery in Berlin und in der deutschen Regionalbahn, von der er so fasziniert war, und eine Volksmusik-CD hat er sich mitgebracht. Franzosen seien faul und arrogant, während Deutsche pflichtbewusst, höflich und fleißig seien. Mir fällt die »Avenue Franz-Josef Strauss« in der Hauptstadt Lomé ein und die Frau, die ich in einem Bergdorf getroffen habe, und die mit mir deutsch gesprochen hat. Mir fällt der Junge ein, mit dem ich Adressen ausgetauscht habe, er heißt Schwenninger mit Nachnamen, einer seiner Vorfahren war Deutscher, und er möchte, dass ich ihm helfe, Kontakt zu Schwenningers in Deutschland herzustellen. Überall begegnen mir Leute, die Deutschland preisen. Und ich bin hier, weil ich genau diesem Deutschland den Rücken kehren wollte.

Für Afrikareisende aus Deutschland ist es keine Seltenheit, mit Meinungen und Bewertungen konfrontiert zu werden, die befremden.

»Die Deutschen herrschten über Kamerun zwischen 1885 und 1918. Bevor die Deutschen kamen, lebten die Eingeborenen wie die Tiere. Ihre Herrschaft war hart, aber gerecht. Alles Schlechte, was heute die Entwicklung hemmt, kommt von den Engländern und vor allem von den Franzosen. Kamerun sollte wieder deutsche Kolonie werden.«

Laut einer repräsentativen Umfrage ist das die Antwort der Bewohner der Provinzen Südwest und Nordwest der Republik Kamerun auf die Frage nach dem Ende der deutschen Kolonialherrschaft. Wie kommt so etwas zustande?

Kai Schmidt-Soltau (siehe iz3w Nr. 267, 2003), der Autor oben zitierter Umfrage, identifiziert vier Sichtweisen der deutschen Kolonialherrschaft: 59,6% der Befragten bewerten sie als »konstruktive Begegnung«, 13% als »Ausbeutung«, 12,8% als »Gewalterfahrung« und 8,7% als »Notwendigkeit«. Bei allen Untersuchungen bleibt unklar, wovon die jeweilige Bewertung abhängt. 73,6% der Befragten wünschen sich gar eine erneute deutsche Kolonisierung.

Vielleicht, so Schmidt-Soltau in Anlehnung an Derrida, ist eine reale Erinnerung für eine Konstruktion der deutschen Kolonialherrschaft gar nicht nötig. Vielleicht ist die wichtigere Frage die nach der Funktion, die derartige Konstruktionen erfüllen. Die wiederum könnte mit dem verbreiteten (73,6%!)Wunsch nach erneuter Kolonisierung zusammenhängen, der auf eine massive Hoffnungslosigkeit innerhalb der kamerunschen Gesellschaft hindeutet. Die Mehrheit der Befragten habe, so Schmidt-Soltau, erkannt, »dass ihre einzige Möglichkeit zur Teilnahme an der Globalisierung in der Unterwerfung unter den Willen eines Fremden besteht« – ein Hinweis darauf, dass der Kolonialismus in einem gewissen Sinne fortbesteht. Eine positive Sicht auf die Deutschen könnte darin begründet liegen, dass die deutschen Kolonisatoren ihre geistigen Konstruktionen zurückgelassen haben – was auch zu verstehen hilft, warum in der zitierten Umfrage neben »Erziehung, Entwicklung, Freundlichkeit und Ende der Sklaverei« auch »Autorität, Krieg, Härte und Ideologie des Herrenmenschen« zu einer positiven Bewertung der deutschen Kolonialzeit führen.

FernWeh 2004




Ein erster Eindruck von Südafrika

von Christopher Vogel

Eigentlich wollte ich nie nach Südafrika. Wirklich nicht. Nelson Mandela war zwar gerade zum Präsidenten gewählt worden, aber ich wollte mit diesem Apartheidsscheiß nichts zu tun haben. Ich hatte vor, nach Zimbabwe zu reisen. Aber ein Flug nach Johannesburg sparte mir 250 Euro, also flog ich dahin. Vom Flughafen direkt zum Busbahnhof, weiter nach Pietersburg, von dort mit dem Zug nach Zimbabwe, Land und Leute kennen lernen. Einfacher Plan, doch dann traf ich Clayton.

Wie das halt so ist, wenn man ohne Fahrplan in der Tasche unterwegs ist, heißt es erst mal warten. Von einem gleichaltrigen weißen Südafrikaner - Clayton - werde ich angesprochen. Es stellt sich heraus, dass er Verwandte in Pietersburg besucht und so verbringen wir die Wartezeit und die Busfahrt zusammen. Er fragt mich mehrmals, wie das so mit Hitler in Deutschland war und irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass wir da unterschiedliche Ansichten haben. Sein Interesse am Umgang mit dem Faschismus in Deutschland überträgt er auf Südafrika. Die Logik geht in etwa so: Hitler scheint von der Welt verteufelt zu werden. Die südafrikanische Apartheid hatte auch ein schlechtes Image, weil das dem Rest der Welt von seinen liberalen Medien so eingeredet wurde. Da Apartheid eigentlich was Gutes sei, gelte das vermutlich auch für Hitler und den Nationalsozialismus. Die positiven Seiten rassistischer Politik in Deutschland könne er mir anscheinend nicht einreden, aber über die Apartheid wisse er Bescheid und das würde er mir auch ganz plastisch zeigen. Ich kann nicht so ganz folgen, trotzdem höre ich interessiert zu - schließlich soll Reisen ja den eigenen Horizont erweitern. Während der Busfahrt passieren wir Boputhatswana. Wellblechbaracken so weit das Auge reicht, 3 Millionen EinwohnerInnen, zu Apartheidszeiten von der weißen Regierung als »Homeland« für Schwarze unabhängig erklärt. Trotz modernem Flughafen und westlichen Klamotten von Clayton (ganz zu schweigen von einem riesigen Spielkasino-Komplex, der bald folgt) erinnert dieser Anblick daran, dass die Mehrheit Südafrikas wirtschaftlich zur 3. Welt gehört. Clayton hingegen hat seine eigene Erklärung: »Das ist die Kultur der Schwarzen. Früher lebten sie in Kraalen, jetzt halt in diesen Wellblechsiedlungen. Die wollen das so.«


Bauchfleisch, Gewehre und rosa Kitsch

In Pietersburg angekommen, fahren wir zum Geschäft seines Onkels, das sich als Metzgerei entpuppt. Die Kundschaft besteht aus Schwarzen, die das billigste Fleisch aus einer kleinen Kühltruhe kaufen und das ich spontan als Hundefutter identifiziert hätte. Erst wenige Stunden in Südafrika und schon fühle ich mich unwohl. Ich hatte mir vorher darüber Gedanken gemacht, dass es Situationen geben würde, wo Hautfarbe nicht egal ist und ich mich mit meiner privilegierten Stellung als weißer westlicher Tourist auseinander setzen muss, ob ich das will oder nicht. Und hier stehe ich in einer Metzgerei und kriege vorgeführt, wie an einer Fleischtheke soziale Unterschiede in der Wahl des täglichen Essens ausgedrückt werden.

Wir fahren zur Metzgersfamilie: Schicker Bungalow, gepflegter Rasen, Swimming Pool hinterm Haus. Wir treten ein, sofortiger beidseitiger Kulturschock. Flur und Wohnzimmer, ein Hort des Spießbürgertums. Grundfarbe rosa (Sofas, Plüsch, Tücher), auf jedem freien Fleck Nippes, Porzellantierchen und ähnliches - Kitsch so weit das Auge reicht. Haustiere sind - wen wundert‘s - Möpse. Der Hausherr im Sessel mit einem Teller Fleisch vor sich. Er wischt sich das Fett an seiner Hose, schüttelt mir die Hand und fragt sich offensichtlich, wen oder was sein Neffe da anschleppt: Irgend so ein Hippie mit grün gefärbter Haarsträhne, Ohrringen und Schlabberhosen. Unterhalten können wir uns nicht, er spricht kein Englisch, ich kein Afrikaans. So bleiben wir beide sprachlos, irritiert voneinander. Ehefrau, drei dauergewellte Töchter, ein Sohn - alle stark übergewichtig. Immerhin, ich werde zum Essen eingeladen. Zwar ansonsten Vegetarier, hatte ich mir vorgenommen, alles zu essen, was mir vorgesetzt werden würde. Zu oft war ich in ärmeren Ländern auf Unverständnis gestoßen, wenn ich erklären sollte, warum ich kein Fleisch esse. Irgendwie kam ich mir dann noch mehr als blöder Weißer vor. Aber dass ich nun ausgerechnet Bauchfleisch auf dem Teller vor mir habe, stellt meinen Entschluss auf die Probe. Nein, ich bin hier eingeladen und esse, was auf den Tisch kommt. Verschlimmert wird meine anschließende leichte Übelkeit durch den Umstand, dass nun schwarze Angestellte wortlos den Tisch abräumen. Genau hier ist der Grund, warum ich nie nach Südafrika fahren wollte. Verhältnisse wie in der Kolonialzeit. Die Weißen lassen sich bedienen. Große Klasse, ein schönes Leben. Das Bild, das ich vorher von Südafrika hatte, wird nicht bestätigt, sondern übertroffen. Die Apartheid mag politisch vorbei sein, aber wirtschaftlich, sozial und in den Köpfen der Menschen (zumindest der Weißen, die ich hier treffe) ist sie noch lange nicht vorbei. Und ich mache mir vorher Gedanken, ob ich das alles nicht ein bisschen zu schwarz/weiß sehe. Außerdem wollte ich zwar was von der Welt sehen, aber so was hier doch nicht. Zum formvollendeten Abschluss des Tages trägt nicht unwesentlich die Jungmännerrunde im Zimmer von Claytons Cousin bei. Er holt ein Gewehr aus dem Schrank, nimmt es auseinander, reicht mir ein Teil, samt Lappen und Öl. Na, wenn ich schon mal hier bin. »Bist du in Rom, tu was die Römer tun.« Während wir also alle ganz gemütlich seine Waffe reinigen, folgt ein Monolog über die Zurückgebliebenheit und Schlechtigkeit der Schwarzen. Meine Meinung wird gehört und respektiert, angesichts der Tatsache, dass ich als Europäer aber keinen Schimmer von den Zuständen hier haben kann (die Medien und so) aber nicht für voll genommen.

Das Schlimme ist, dass die klaren Vorstellungen Claytons und seiner Familie über die Welt hat auf dem ländlichen Tarnsvaal und seiner rassistischen Gesellschaftsaufteilung basieren. Hier lebten nur anständige Weiße, die den Schwarzen Bildung, Zivilisation und nie gekannten Wohlstand gebracht haben. »Man sieht doch, was in den anderen Ländern für ein Chaos herrscht, die von den Schwarzen selbst regiert werden. Die können das gar nicht.« Was eine Zentralheizung ist oder wie das Leben sonst wo in der Welt vonstatten geht, wissen sie aber selbst nicht. An die Kneipe danach habe ich nur noch verschwommene Erinnerung. Noch mehr Buren, die sich von Schwarzen bedienen lassen. Noch mehr Aufklärung über Südafrika, wie es wirklich ist und ein verzweifelter Tourist aus Deutschland, der die richtige Alkoholdosis zwischen Reisefähigkeit und emotionaler Abstumpfung sucht. Aber auch die schlechtesten Kneipengespräche gehen mal zu Ende und endlich ist es Zeit Lebewohl zu sagen. Bei aller Gastfreundlichkeit, ihr seht mich nicht wieder, denk ich mir. Ich wollte ja auch gar nicht hier sein.

P.S.: Zwei Wochen später traf ich Mike - weiß, Südafrikaner, lange Haare, Sänger einer Rockband in Kapstadt, dem ich meine Geschichte erzählte. Er hat sich kaum eingekriegt vor Lachen, lud mich ein, ihn in seiner WG zu besuchen. Ich nahm an, verbrachte einen großartigen Monat in Kapstadt und lernte eine Menge nette Leute kennen. Mein Bild von Südafrika wurde etwas farbiger. Zwei Jahre später bin ich noch mal zu Besuch, aber nach Pietersburg fahr ich nicht mehr. Wirklich nicht.

FernWeh 2003




Deutsche in Italien

von Claudia Schülein

Ich sitze staunend inmitten einer Menge krebsroter Deutscher und ÖsterreicherInnen, die kühles Bier aus rosaroten Kühltaschen trinken, deutsche Radioübertragungen von Fußballspielen hören, in den gelben Sand starren und so tun, als ob sie taub wären, wenn einer der Schwarzafrikaner, beladen mit Schnitzereien und Tücher vorbeikommt und seine Ware anbietet. Urlaub nennen das viele, die von jenseits oder aus den Alpen kommen: Hitze über sich ergehen lassen, sandige Handtücher ertragen und vom Meerwasser Durchfall kriegen. An der Strandbar hat der deutsche Herr mit dem sauberen Schnurbart und der blankpolierten Glatze schon einen ganz roten Kopf. »Seit fünf Minuten warte ich jetzt schon«, giftet er. »Ich weiß gar nicht, wie so ein Land funktionieren kann, wenn die alle so trödeln!«. Das südländische Flair, der italienische Cappuccino und das unvergleichliche Eis, dafür kommt man in dieses Land, und nicht um sich mit Italienern und anderen »Ausländern« herum zu ärgern.

Mit zwei schweren Körben mit Kokosnüssen beladen, schlängelt sich ein junger Mann durch die langen Reihen der Sonnenschirme und Liegen. Aus vollem Hals preist er seine Ware an. »Oh, diese Gulli-Gullis! Nie hat man hier seine Ruhe!« beschwert sich ein österreichischer Familienvater. Den Ausdruck »Gulli-Gulli« für die Verkäufer am Strand hat er wohl selbst erfunden. Plötzlich grinst er und winkt den Mann heran. »Na, was hast Du denn da? Ach, das sieht ja gar nicht lecker aus...na, da kannst Du gleich gehen damit!!«. Der Kokosnussverkäufer schüttelt nur leicht den Kopf, stemmt seine Körbe wieder auf die Schultern und geht weiter.

Am Nachmittag, wenn die ersten TouristInnen schon ihre Sachen packen und aufbrechen, um nicht das Halbpensionsabendessen im Hotel zu verpassen, breiten einige Leute ihre Waren aus. Da flattern farbige T-Shirts und Hosen im Wind, da baumeln Ketten und Ohrringe. Von weitem lösen die bunten Stände direkt vorne am Meer das Einerlei der langen Schirm- und Liegenreihen auf. Am ersten Stand wartet ein Vietnamese, am zweiten Stand zwei junge Männer aus Tunesien und am dritten verkaufen ein Marokkaner und seine beiden Töchter. Ein Paar um die 50 lässt sich von der jungen Frau in einem langen Kleid und einem Kopftuch Hemden zeigen. »Ja, ja, jetzt bring nur mal was Anständiges«, sagt sie auf Deutsch und genießt es sichtlich, dass die Marokkanerin sie nicht verstehen kann. Unverblümt meckert sie dann: »Was bildet diese Araberin sich überhaupt ein, das kann man doch bei uns nicht tragen, viel zu bunt!«. Als sie den Preis hört, gibt es kein Halten mehr. »Das ist doch wieder typisch, Du versuchst uns ja wohl total zu verarschen, oder?!« empört dreht die Touristin auf dem Absatz um und stampft durch den gelben Sand von dannen, als wäre sie beleidigt und beschimpft worden. »Das ist der normale Preis. Zwei oder drei Euro sind noch Verhandlungsspielraum. Mehr nicht, sonst machen wir gar kein Geschäft! Handeln wollen die meisten nicht und gehen gleich. Da schlägt einem ein solches Misstrauen entgegen...«, erzählt mir der Vater der Verkäuferin auf Französisch. Ein Handy klingelt und die Stimmung wird nervös. Die Polizei ist im Anmarsch, hat ein Informant gesagt. Ein Standbesitzer läuft, um an den anderen Ständen Bescheid zu geben. In Windeseile wird abgebaut, obwohl sie alle doch gerade erst angekommen sind. Die riesigen Kleiderhaufen werden auf wackelige Handkarren gebunden und durch den Sand an die Straße gebracht. Die HändlerInnen verkaufen hier illegal, die meisten leben illegalisiert in Italien.

Bei Beobachtungen in diesem Eldorado des Massentourismus an der Adria kann man sich das Schmunzeln kaum verkneifen, wenn man an die Worte des Wirtschaftsminister Stefano Stefani über die deutschen Touristen denkt, als »einförmige, supernationalistische Blonde«, »die über die italienischen Strände herfallen« und sich »besoffen von arroganter Selbstsicherheit« verhalten. Doch das Lächeln gefriert schnell bei dem Gedanken an die Menschen, die zwischen all den Urlaubern, die ihre schönsten Tage im Jahr genießen, ihr Leben so ganz anders fristen. Die hart und schwer für niedrige Löhne schuften und damit helfen, den Tourismus aufrecht zu erhalten und unter dem Druck des Illegalisiert-Werdens versuchen, irgendwie davon zu leben. Und die in Italien nicht willkommen sind. Schon im Juni 2000 forderte der damalige Oppositionsführer Silvio Berlusconi die Erlaubnis für Schießbefehle auf Schlepperboote vor der italienischen Küste. Im Sommer 2003, nachdem allein im Juni wieder mehr als 250 Menschen ertrunken sind, weil ihre Schlepperboote gekentert waren, werden wieder Rufe nach Schießbefehlen laut. Umberto Bossi, Reformminister der Berlusconi-Regierung, warnt vor Überfremdung durch MigrantInnen und besteht auf sofortiger Unterbindung des Flüchtlingsstroms. Die Bekämpfung der illegalisierten EinwandererInnen auf dem Land- und Seeweg ist in Italien in vollem Gange. Wenig später, nachdem die Standbesitzer wieder einmal auf der Flucht waren, flitzen zwei Strandpolizisten auf ihren Baywatch-Strandcruisern vorbei und halten nach Personen Ausschau, die sich »unbefugt« hier aufhalten. Doch das Bild ist ruhig und friedlich, Kinder buddeln im Sand und ihre Eltern räkeln sich in der Sonne. Die »Illegalen« sind wieder einmal geflüchtet.

FernWeh 2003




Reiseerfahrungen in Nepal

von Julia Krischak

Meine erste Reise ins außereuropäische Ausland. Allein. Nur ich und meine Vorstellungen vom fernen Nepal. Ganz genau hatte ich vor Augen, was ich mir von der Reise versprach: Ich wollte außergewöhnliche Begegnungen mit Menschen, deren Lebensweise durch Buddhismus und Hinduismus als Staatsreligionen geprägt war. Ich wollte erfahren, wie Menschen in einem der ärmsten Länder der Welt leben. Wollte durch diese Begegnungen eine veränderte Sichtweise auf mein eigenes Leben bekommen. Ja, ich hoffte, dass meine Reise zum Selbsterfahrungstrip werden würde. Und so hatte ich via Internet im Voraus einen einwöchigen Buddhismuskurs im Kloster gebucht. Zumindest geistig war ich auf Abenteuer vorbereitet, die meine ganze Aufmerksamkeit und all meinen Mut herausfordern könnten. Und wenn ich ehrlich bin, hatte ich nichts gegen eine ordentliche Portion Einsamkeit.

Am Frankfurter Flughafen stand ich nun, dick bepackt in Trekkingklamotten und Bergstiefeln am Schalter. Ich starrte auf das Touristenvisum, das in meinem Reisepass auf Seite eins klebte. Zweifel schossen mir durch den Schädel. Irgendwie war ich mir nicht mehr sicher, ob ich nicht vielleicht Angst vor meiner eigenen Courage bekommen sollte. Die Unsicherheit kam immer wieder hoch, bis mir Rebekka, Steffen und Malkie, der Rasta, am Flughafen von Abu Dhabi die Gelegenheit boten, sie mit ein paar kühlen Bier herunterzuspülen. Sie waren alle drei aus Gießen, alle drei Geographie-Studenten auf dem Weg nach Kathmandu. Wir hatten den gleichen Weg, die gleiche Wellenlänge und scheinbar dieselben Pläne. Lauter gute Voraussetzungen für eine nette Reise zu viert. Mit Ausnahme meiner siebentägigen Klosterexkursion verbrachten wir jeden Tag zusammen. Das hieß gleichzeitig auch, dass wir unsere Vorstellungen von dem, was wir erleben wollten, unter einen Hut bringen mussten. Und die waren, wie ich bald bemerkte, doch ziemlich unterschiedlich: Ich wollte die Natur genießen und mir Zeit lassen auf unserem 230 Kilometer langen Weg. Wollte dort bleiben, wo ich mich wohl fühle. Ich hatte keine Lust, mir die Möglichkeit, Menschen von dort kennen zu lernen, von vornherein nehmen zu lassen. Die anderen waren immer auf dem Sprung. Über allem schwebte ihr Wunsch, das Annapurna Basecamp in der noch verbleibenden Zeit mitzunehmen. Einmal, als ich mir ein buddhistisches Kloster anschaute und mich einer der Mönche auf einen Tee einlud, lehnte ich ab - die anderen warteten ja schließlich. Andererseits fehlte mir zu dem Zeitpunkt schlichtweg der Mut, mich von den dreien zu trennen. Wie wir nämlich von anderen Treckern hörten, hatte es lange Kämpfe zwischen Maoisten und der Polizei in einer nicht weit von uns entfernten Stadt gegeben. Wir blieben also zusammen und so langsam versackte ich mehr und mehr in unserer Reise-Clique.


Die Touri-Seifenblase

Meist suchten wir abends alle zusammen eine Lodge. Zwei weitere Mädels und ein Franzose waren noch dazu gestoßen. Vom täglichen Fußmarsch meist total geschafft, ließen wir den Tag möglichst gemütlich ausklingen: Karten spielend oder einfach klönend, lagen wir rauchend auf unseren Betten. Das Bier, das dabei selten fehlte, wurde entweder eingeflogen, sofern ein Flugplatz in der Nähe war, oder aber eigens von Nepalis den langen Weg für uns hoch getragen. Durch unseren Tagesablauf waren die Begegnungen mit Einheimischen, auf die ich mich anfangs so gefreut hatte, ziemlich spärlich. Klar, auf dem alltäglichen Marsch von einem ins nächste Dorf traf man immer wieder auf Nepalis, aber das waren immer nur kurze Begegnungen: Kinder auf ihrem Schulweg, die uns neugierig begleiteten und jene, die uns schon weit vor dem Dorf abfingen. Es war keine Seltenheit, dass sich ein halbes Dutzend Kinder um uns scharte und alle abwechselnd »Pen«, »Sweet« oder »Rupee« riefen. Darauf war ich anfangs nicht vorbereitet. Und als ich einmal völlig erschöpft eine Pause einlegte, stand sie plötzlich vor mir: Ein kleines nepalisches Mädchen, die unentwegt an meinem Armband zupfte und »My, My, My« rief. Völlig außer Atem versuchte ich ihr klarzumachen, dass ich ihr mein Armband auf keinen Fall geben könnte. Schon gar nicht das. Das sei nämlich ein Andenken an einen Freund. Sie allerdings, wollte genau das und ließ sich von meinem hilflosen Gestammel nicht beirren. Irgendwann, als ich keine Lust mehr hatte, mein Armband gegen sie zu verteidigen, wurde ich immer ungehaltener. Ich zog es ihr aus der Hand und stapfte mit einem lauten und deutlichen »No« davon. Eine ganze Weile hat mich diese Begegnung noch beschäftigt. Im ersten Moment registrierte ich allein die Dreistigkeit des kleinen Mädchens. Mit der Zeit verflog mein Ärger und ich machte mir Gedanken über die wohl ergiebigeren Begegnungen mit anderen Touristen, die sie anscheinend in der Vergangenheit gemacht hatte.

Ein anderes Mal machte ich die flüchtige Bekanntschaft eines Mustang-Cowboys, der mich beherzt über den Haufen ritt. Sein Pferd war mit ihm durchgegangen. Wie eine Schildkröte lag ich auf dem Rücken, das Gewicht meines Rucksacks erschwerte mir das Aufstehen. Sein Begleiter entschuldigte sich besorgt bei mir und fragte mehrmals, ob ich verletzt sei. Der Cowboy selbst war noch mit seinem Pferd zu Gange. Mit einem verstörten »Ähem, no« im Ohr setzten sie ihren Weg fort.

Im Großen und Ganzen blieb ich aber in unserem kleinen Kreis. Wir feierten ab und zu mit anderen Treckern, tauschten alle erdenklichen Infos aus, lebten in unserer kleinen Community. Dass wir uns mit einem einheimischen Guide und dem Verwalter unserer Lodge anfreundeten, war da schon die Ausnahme. Mit beiden verbrachten wir den ein oder anderen Abend und redeten über dieses und jenes. Der Kontakt entstand eben ganz automatisch, denn durch ihren Job bewegten sie sich schließlich täglich in der Backpacker-Szene. Rückblickend muss ich sagen, dass ich außer einer Begegnung mit einem Nepali, mit dem ich noch immer Kontakt habe, selten aus meiner Touristen-Blase ausgebrochen bin.

Der Klosterbesuch war da zumindest ein Versuch. In den sieben Tagen inklusive Halbtags-Schweigen und Meditation habe ich auch tatsächlich gute Erfahrungen gemacht. Ich bekam einen Einblick in den Tagesablauf der jungen Novizen. Hatte ich vorher die Vorstellung, dass sie von westlichen Errungenschaften relativ abgeschottet leben würden, so wurde ich dort eines Besseren belehrt. Wie ich feststellen konnte, bleiben Kinder doch immer noch Kinder, auch wenn sie in einem buddhistischen Kloster leben. So üben Gameboy und Ballerspiele eine große Faszination auf die Kleinen aus. Das Bild, das ich vom einfachen Klosterleben hatte, ohne Internet, ohne westliche Konsumgüter, war geprägt von meinem Wunschdenken. Ich wollte unbedingt Exotik aufspüren und wenn nicht im Kloster, wo dann?

Schließlich waren die Erlebnisse im Kloster sehr heilsam. Dort bekam ich meine gewünschte Portion Einsamkeit, konnte innere Ruhe finden und außerdem noch interessante Bekanntschaften mit dort lebenden Mönchen machen. Was am Ende noch offen bleibt: Alle reden immer vom »Weg nach Innen«! Wie es da genau aussieht, weiß ich leider immer noch nicht.

FernWeh 2004




Haltestelle Jerusalem

von Christopher Vogel

Ein Bus aus dem Badeort Eilat am Roten Meer schert in die Parkbucht, die Türen öffnen sich, Soldaten, orthodoxe Juden und Backpacker strömen auf den Bussteig. Es folgt die für Tourismus-Verkehrsknotenpunkte übliche Geschäftsanbahnung: »Are you looking for a hostel? « Die »Runner« sind Dienstleister der verschiedenen Backpacker-Hostels und zugleich Türöffner für die Stadt, ihre Sehenswürdigkeiten, Konflikte und Kulturen. Hinter der ewig freundlichen und hilfsbereiten Fassade ist das Geschäft von Konkurrenzkampf, politischen Interessen und Korruption bestimmt.

Durch den andauernden Ausnahmezustand, in dem sich Israel befindet, ist der Tourismus dort ein prekärer Geschäftszweig. Sobald größere Anschlagserien durch Hamas und Co. oder militärische Aktionen der Armee Schlagzeilen in den westlichen Medien machen, brechen die BesucherInnenzahlen immer wieder ein. Die Einnahmen aus dem Tourismus fielen im Jahr 2001, nach Beginn der Al-Aqsa-Intifada, um 47 Prozent. Nach weiteren Verlusten in den folgenden Jahren haben sich die Zahlen inzwischen bei ca. einer Million BesucherInnen pro Jahr stabilisiert. Einen nicht unerheblichen Anteil stellen daran nach wie vor RucksacktouristInnen.


Touristenführer als Backstage-Agenten

Bevorzugt für den Job des Runners – also Schlepper, die Kundschaft für Backpacker-Hostel »aufreißen« – werden westliche AlternativtouristInnen eingestellt, die sich bei freier Kost und Logis und einer minimalen Provision pro erfolgreicher Geschäftsanbahnung den Aufenthalt in der Stadt finanzieren. Der Vorteil liegt für die Hostels auf der Hand: Neben Englisch sprechen die Runner oft die Muttersprache der Reisenden, haben das gleiche Outfit und vermitteln so den Ankommenden das Gefühl, in der Ferne Gleichgesinnte und ein Stück Heimat anzutreffen. Gerade in einem Land wie Israel, das meist mit Gewalt in Verbindung gebracht wird, ist dies ein nicht unerheblicher Wettbewerbsvorteil. Aufgabe der Runner ist aber nicht nur die Kundenakquise. Obwohl zum größten Teil ebenfalls erst seit kurzer Zeit im Land, vermitteln sie die Illusion, dank Expertenwissen und kultureller Kompetenz einen Blick hinter die Kulissen der Stadt zu ermöglichen: Wo geht man aus, wo ist welche Sehenswürdigkeit, was ist überhaupt sehenswert? Oft erzielen die Hostels mit den geführten Ausflügen die eigentlichen Profite. Neben den üblichen Sightseeing-Touren bieten sie auch Besuche in den Gaza-Streifen und in palästinensische Flüchtlingslager an. Dort wird oft mit der Attitüde des »Blicks hinter die Kulissen des Besatzungsregimes« politische Arbeit betrieben. Offen judenfeindliche Erklärungen für den Nahostkonflikt werden dabei vermieden. Doch es wird Einfluss auf die politische Einstellung der BackpackerInnen genommen, etwa mittels einer Begegnung mit palästinensischen Familien.

Das funktioniert in etwa so: Nach einem Rundgang durch ein Flüchtlingslager (welche mitnichten Zeltstädte sind, sondern wie »gewöhnliche« Armenviertel aussehen), trifft man eine Familie, der besonders übel mitgespielt wurde. Der Familienvater von der Armee erschossen, einige Söhne im Gefängnis, die übrigen arbeitslos. Im Wohnzimmer der Familie, die im weiteren Verlauf der Tour eine Statistenrolle spielt, erklärt der Guide den jungen TouristInnen, dass die Hamas systematisch von der israelischen Regierung aufgebaut wurde, um den Widerstand zu spalten und damit zu schwächen. Deutschen BesucherInnen wird das Standardargument aufgetischt, es sei ungerecht, dass nun unbeteiligte Palästinenser für die Nazigräuel büßen müssen. Das leuchtet den Gästen ein und schließt reibungslos an antisemitische Argumentationen in der Heimat an: die Israelis als Täterkollektiv, die sich nun so aufführen wie die Nazis. Aus dieser Sicht sind die PalästinenserInnen unschuldige Opfer, aufgerieben zwischen einem terroristischen Staat und militanten Spinnern. Auch wenn nur die wenigsten BackpackerInnen explizite Palästina-Soli-Touristen sind, ist die Verurteilung der israelischen Politik häufig schon vor der Reise Konsens und wird nun in einem scheinbar authentischen Erlebnis bestärkt.

Ähnliches gilt auch für jene BesucherInnen, die mit der anderen Seite sympathisieren. Freiwillige Kibbuzim-HelferInnen werden beispielsweise vor der Altstadt Jerusalems als palästinensischem Wohngebiet gewarnt. Doch der Rat, man solle dieses Stadtviertel aufgrund der Gefahr für Leib und Leben meiden, ist zumindest widersprüchlich, finden doch die Selbstmordanschläge alle im israelischen Teil von Jerusalem statt. Einen differenzierten Blick bekommen die Backpacker kaum vermittelt, was aufgrund des permanenten Ausnahmezustands und der persönlichen Betroffenheit der meisten Akteure nicht verwundert. Nur selten betonen Guides die Subjektivität ihrer Position oder legen ihren Kunden nahe, sich selbst ein Bild von den verschiedenen Seiten zu machen. Aus der touristischen Dienstleistung wird so der Versuch der politischen Vereinnahmung für die eigene Sichtweise auf den Konflikt.

In der politisch angespannten Situation gewinnt die Einschätzung der westlichen Beschäftigten im Tourismusgewerbe besonderes Gewicht. Sie blicken als scheinbar neutrale Gleichgesinnte aus derselben Perspektive wie viele TouristInnen auf das verworrene Geschehen. Meist sind sie die ersten AnsprechpartnerInnen, wenn es darum geht, eigene Erlebnisse etwa an israelischen Checkpoints zu reflektieren, und schnell ist man sich in der einseitigen Parteinahme gegen die Besatzungspolitik einig. Eine Reflektion über eigene Verwicklungen in antisemitisches Denken findet bei den Guides nur in Ausnahmefällen statt.

Gelegentlich ersetzen die Runner auch die Putz- und Küchenkräfte aus den besetzten Gebieten, wenn diese aufgrund der immer wieder verhängten Ausgangssperren nicht durch die israelischen Grenzkontrollen kommen. Das kommt allerdings nur in jenen Hostels zur Sprache, wo dies in die politische Grundausrichtung passt. Dabei hat man auch hier buchstäblich Leichen im Keller: Familienangehörige und Freunde, die aufgrund von Terrorattentaten im Gefängnis sitzen oder sich selbst in die Luft gesprengt haben, bleiben unerwähnt.

Iz3w Nr.281, 2004




Postkarte aus Thailand

von Sue Wheat

Ich saß im Dschungel und schaute einer Thai-Familie zu. Mit Kokosnussschalen sammelten sie Kautschuk auf, der an den Bäumen herunter lief, rührten die Gummilösung von Hand an und teilten den Gummi schließlich in kleine Stücke. Eine ganze Familie arbeitete von 5 Uhr in der Frühe bis 1 Uhr mittags – pro Erwachsenen sprangen dabei ca. 200 DM im Monat raus. Mit meinem Reise-Budget von 10 Mark pro Tag erzählte ich den Leuten im Dorf, ich sei arm. Rückblickend frage ich mich, wie ich ernsthaft glauben konnte, dass sie mir das abnehmen! Da stand ich: Kamera um den Hals, relativ neue Klamotten. Offensichtlich hatte es mich eine Menge Geld gekostet, hierher zu fliegen. Was glaubte ich bloß, den Leuten erzählen zu können?

Zweieinhalb Monate bin ich durch Thailand gereist – natürlich in abgelegene Gegenden. Nachdem ich die Großzügigkeit und Güte von hunderten ThailänderInnen genossen hatte, arm und reich, schwor ich mir, nie wieder mit so wenig Geld unterwegs zu sein. Die Menschen überschütteten mich mit Gastfreundschaft. Ich kam mir wie eine Betrügerin vor, weil ich so wenig zurückzugeben hatte. Leider glauben viele TouristInnen in Thailand, die Leute respektierten einen, wenn man billig reist und erbittert feilscht. So wie ich – bis ich eines Besseren belehrt wurde. Die meisten Reiseführer sagen, dass die Einheimischen von uns das Feilschen erwarten. Ansonsten verliere man sein Gesicht. Das ist wahr, aber nur bis zu einem gewissen Grad. Ein fundamentaler Teil der thailändischen Kultur ist Höflichkeit. Erst als ich Kultur und Sprache ein bisschen kennen lernte, merkte ich, dass das Feilschen ein bloßer Pro Forma Ritus war, um die eigene Unabhängigkeit unter Beweis zu stellen und zu zeigen, dass man die Preise kennt. Absolute Voraussetzung: Es passiert in guter Stimmung, in einer »höflichen« Ration an Zeit (nicht zu lang!) und der ausgehandelte Preis ist fair. Während Thais gewöhnlich höflich handeln und weitergehen, wenn sie nicht den Preis kriegen, den sie möchten, feilschen Westler bis zum Letzten.

Beim Herumreisen fiel mir auf, dass ich eine von Millionen TouristInnen war, völlig blind gegenüber den kulturellen Unterschieden und dem kulturellen Schaden, den wir – wenn auch unbeabsichtigt – anrichteten. Wenn man schon das Glück hat, einen der idyllischen Strände zu finden, ist dann dort das sonnenanbetende Oben-ohne wirklich das Wesentliche? Westler scheinen darauf konditioniert zu sein, Strände und Sonnenbaden als untrennbare Bestandteile des Urlaubs anzunehmen. Sonnenbaden, selbst im Bikini, wird in der thailändischen Gesellschaft als etwas höchst Geschmackloses angesehen. Das wird klar, wenn man zufällig mal eine thailändische Familien beim Urlaub am Strand sieht. Warum sonst springen sie komplett angezogen ins Wasser? Kurze Shorts und neckische T-Shirts sind ebenso unvertretbar.

Auf der Suche nach dem perfekten Paradies scheint der Masse der TouristInnen bedauerlicherweise jegliches Interesse und jeder Respekt für die thailändische Kultur zu fehlen. Alle wollen nur zu den abgelegenen und exotischen Plätzen, die immer einfacher zu erreichen sind. Um so mehr suchen dann neue, noch unberührte Ecken. Ich denke, es ist allemal an der Zeit, einige unserer typischen Ferienerwartungen aufzugeben und zu sehen, dass es andere Dinge zu erleben gibt. Und die sind nicht einfach den üblichen Urlaubsfreuden in westlichen Ländern hinzuzufügen.





Wer reist lernt sich selber kennen

von Guido Kaesb

Damit Begegnungen auf Reisen für alle Beteiligten gewinnbringend sein können, sollten wir uns darüber bewusst sein, welche Prozesse sich dabei abspielen. Im Rahmen des Tourismus stoßen wir ja nicht nur auf andere Kulturen, sondern bringen auch unsere eigene mit und damit auch unsere Ansichten und Beurteilungen, die in einem anderen sozialen Umfeld an Relevanz verlieren können. Interkulturelle Begegnungen müssen deshalb nicht automatisch zum Abbau von Vorurteilen führen, sondern es besteht im Gegenteil die Gefahr, dass diese verstärkt werden, wenn z.B. Enttäuschungen aufgrund falscher Erwartungen zur Ablehnung der bereisten Kultur führen.


Die mentale Software

Jeder Mensch hat ein eigenes Muster des Denkens, Handelns und Fühlens, das, im Wesentlichen schon während der frühen Kindheit erlernt wird, sich ständig weiterentwickelt. Die Bezeichnung »Mentale Software« verdeutlicht, dass es sich um ein tief verinnerlichtes, meist unbewusstes Muster handelt, das unser gesamtes Denken, Fühlen und Handeln bestimmt - also auch so scheinbar selbstverständliche Dinge wie Grüßen, Essen oder Lachen. Die Quellen dieser »Mentalen Software« liegen im sozialen Umfeld, in dem man aufgewachsen ist und Lebenserfahrungen gesammelt hat. Man kann davon ausgehen, dass Menschen, die in der gleichen sozialen Umgebung aufwachsen, ähnliche Denk- und Empfindungsmuster entwickeln. Kultur ist also erlernt und nicht geerbt. Dies bedeutet nicht, dass alle Menschen einer Kultur gleich sind, aber sie besitzen ähnliche Grundmuster des Denkens, Handelns und Fühlens, zu denen dann persönliche Eigenschaften kommen, die jeden Menschen zu einem Individuum machen. Menschen aus unterschiedlichen Kulturen denken, handeln und fühlen unterschiedlich, da sie eine andere »mentale Software« mit sich tragen. Diese Unterschiedlichkeit gibt allerdings keiner Kultur das Recht, absolute und überall gültige Kriterien zu erstellen, um die Werte einer anderen Kultur zu beurteilen. Es gibt keinen Standard, der es erlaubt, eine Kultur über eine andere zu stellen. Die meist unbewusste Tendenz, andere Gruppen und Ethnien ”aus der Sicht einer Gruppe zu betrachten und die eigenen Sitten und Normen zum Standard aller Beurteilungen zu machen”, wird als Ethnozentrismus bezeichnet.

Bei einem Workcamp in Paraguay beschwerte sich ein deutscher Teilnehmer darüber, dass die Paraguayer noch nicht einmal in der Lage wären, richtigen Kaffee zu kochen, und die Eier immer halb roh wären. Die Möglichkeit, dass die Menschen vor Ort vielleicht Satzkaffee dem deutschen Filterkaffee bevorzugen und sehr weiche Eier gerne mögen, war ihm nicht gekommen.

Wie solche auf unseren eigenen ethnozentrischen Normen und Sitten beruhenden Beurteilungen auf die Beurteilten wirken, mag ein Beispiel zeigen, bei dem wir selbst die Beurteilten sind. Der in Deutschland lebende Toko Kiezi aus Angola beschrieb in einem Interview seine Eindrücke von den Deutschen:

»Ich finde, dass die Deutschen es sich in Liebesbeziehungen sehr schwer machen, besonders die Verheirateten. Wenn man sich schon lange kennt, liebt, und einander vertraut, aber das Sexualleben nicht mehr so gut funktioniert, dann sollten sich Mann und Frau nicht im Wege stehen, wenn es darum geht, sich irgendwo eine Geliebte oder einen Geliebten zu suchen.«

Diese Einstellung stößt bei uns auf Unverständnis, denn gerade wenn man sich liebt und einander vertraut, ist es ungewöhnlich, sich eine Geliebte oder einen Geliebten zu nehmen. Für den Interviewten, der in einer anderen Kultur mit anderen Werten aufgewachsen ist, ist es jedoch nicht ungewöhnlich und keineswegs ein Ausdruck von Untreue.

Aus dem gegenseitigen Unverständnis über unterschiedliche kulturelle Normen erwachsen insbesondere im Dritte-Welt-Tourismus Konflikte. Das beruht zum einen darauf, dass Touristen und ‘Bereiste’ oftmals Gesellschaften mit sehr unterschiedlichen kulturellen Regelungssystemen angehören, die sich erheblich stärker voneinander unterscheiden wie z.B. nord- und südeuropäische Gesellschaften. Zum anderen ist die Wahrnehmung von Menschen aus der Dritten Welt aufgrund der historischen Tradition des Kolonialismus bis zum heutigen Tag von latentem Rassismus bestimmt. Dieser Rassismus kann sehr unterschiedliche Formen annehmen: Keinesfalls muss er immer mit Geringschätzung und Diskriminierung einhergehen; er kann sich auch in der Idealisierung der Menschen aus der Dritten Welt ausdrücken. Dass Enttäuschungen vorprogrammiert sind, wenn die ‘Bereisten’ derartigen Wunschbildern in der Realität nicht genügen, liegt auf der Hand. Eine Mindestanforderung für das Gelingen von interkulturellen Begegnungen ist daher in jedem Fall, dass der Beurteilung von anderen Kulturen Informationen über deren Normen und Regelungen vorausgehen. Dabei stellt sich aber die Frage, wie tief wir in eine andere Kultur eindringen und diese überhaupt verstehen können. Man kann zwischen verschiedenen Ausdrucksformen und Inhalten einer Kultur unterscheiden. Jede Kultur hat oberflächliche Ausdrucksformen, wie Gesten, Bilder und Wörter, die zunächst nur von Insidern - d.h. Menschen der gleichen Kultur - gedeutet werden können, die aber auch von Außenstehenden erlernt werden können. Ebenso können bestimmte Rituale gedeutet oder erlernt werden, wie zum Beispiel Begrüßungen oder Respekterweisungen. Hinter diesen mehr oder weniger oberflächlichen oder äußerlichen Ausdrucksformen stecken jedoch die nur schwer oder gar nicht erlernbaren Werte. Sie können allenfalls in bestimmten Situationen vom Handeln der anderen Person abgeleitet werden. Folgendes Beispiel verdeutlicht dies:

In einem Workcamp im Senegal, bei dem die ausländischen Teilnehmer in Familien mitlebten, breitete sich nach einigen Tagen schlechte Stimmung aus. Die Gastgeber traten den Gästen gegenüber - ganz entgegen der gastfreundlichen Stimmung während der ersten Tage - ablehnend und kühl auf. Die Teilnehmer wollten die Gastgeber zunächst nicht direkt ansprechen, da sie befürchteten, dadurch die Stimmung noch mehr zu drücken. Nach und nach stellte sich heraus, dass die Gastgeber sauer waren, weil die Gäste ihre Wäsche selbst gewaschen hatten. Dies war eine Missachtung der Gastfreundschaft, die es nicht zulässt, dass Gäste solche Arbeiten selbst verrichten. Die Teilnehmer hingegen hatten nur die Gastgeber entlasten wollen. Zwar konnten die deutschen Besucher lernen, dass im Senegal die Selbstversorgung von Gästen nicht üblich ist, es ist aber fraglich, ob sie die dahinter liegenden Werte teilen können. Es ist nicht anzunehmen, dass einer von ihnen in Zukunft verletzt sein wird, wenn Gäste ihre Wäsche selbst waschen.


Von der Euphorie zur Integration: Ein Phasenmodell

Es gibt eine Anzahl von psychologischen und sozialen Prozessen, die interkulturelle Begegnungen begleiten. Ist man sich dieser Prozesse bewusst, so wird der Umgang mit ihnen einfacher und man kann dem Neuen gegenüber aufgeschlossener auftreten. Die verschiedenen Prozesse treten meist während unterschiedlicher Phasen eines Auslandaufenthaltes ein. Die erste Phase zeichnet sich durch Euphorie aus. Vor der Reise und während der ersten Tage des Aufenthaltes dominiert das oftmals berauschende Gefühl, Neues sehen und erleben zu wollen. Die »neue Welt« wird als besonders interessant und aufregend eingestuft. In der zweiten Phase des Aufenthalts kommt es zum Kulturschock. Plötzlich stimmen die aus der eigenen Kultur gewohnten Werte nicht mehr; die Gesten und Rituale der Fremden werden nicht verstanden. Der Besucher merkt, dass seine ethnozentrischen Beurteilungsmechanismen nicht passen. In gewisser Weise ist der Besucher in ein Kindheitsstadium zurückversetzt, wo selbst einfachste Dinge wieder gelernt werden müssen (z.B. Begrüßen, Bedanken, Handeln beim Einkaufen, etc.). Diese Unsicherheit führt häufig zu Frust- und Stresssituationen und resultiert in Hilflosigkeit und Reserviertheit oder gar Ablehnung der neuen Umwelt. Das Unbehagen an der ungewohnten Umgebung kann bis hin zu physischen Problemen und Krankheiten führen. In der dritten Phase hat der Besucher langsam gelernt, unter den neuen Bedingungen zu leben und zu funktionieren, hat einige der lokalen Symbole und Rituale angenommen, wird selbstbewusster und fühlt sich wohler. In der vierten und letzten Phase bewegt man sich in der neuen Kultur schon sehr sicher und fühlt sich integriert. Dieses Stadium der Integration kann aber in der Regel von Reisenden aufgrund der kurzen Aufenthaltsdauer nicht erreicht werden. Es sollte das Ziel jeder Reise sein, am Ende des Aufenthaltes schon in der dritten Phase angelangt und positive Erfahrungen im Gastland gesammelt zu haben. Dies setzt voraus, dass man durch entsprechende Vorbereitung den Kulturschock schnell überwinden kann. Das Bewusstsein über die bei einer interkulturellen Begegnung ablaufenden Prozesse kann helfen, ethnozentrische Sichtweisen abzulegen.

Ebenso wie bei den Besuchern gibt es natürlich auch bei den Gastgebern bestimmte Reaktionsmuster. So ist die erste Phase der Begegnung ungefähr der Begeisterung des Besuchers gleichzusetzen und von Neugierde auf die Gäste geprägt. Auch die Menschen in den bereisten Ländern sind in ihrer ethnozentrischen Sichtweise gefangen und bewerten den Besucher nach ihren Maßstäben. In Ländern der Dritten Welt kommt dabei erschwerend hinzu, dass die Gastgeber oft weniger Zugriff auf Informationen über unsere Kultur haben als wir über ihre. Bei der Beurteilung kommt der Gast oft schlecht weg, da er sich in den örtlichen Gepflogenheiten nicht auskennt und in den Augen der Gastgeber keine Manieren hat und dumm oder naiv ist.

Das Phasenmodell lässt sich auch am obigen Beispiel des Workcamps im Senegal verdeutlichen: Die Teilnehmer waren hier wahrscheinlich in der Phase des Kulturschocks. Sie kannten die Symbole und Rituale des Projektpartners noch nicht und merkten, dass sie auf Ablehnung stießen. Sie waren frustriert, weil sie nicht ergründen konnten, warum sie abgelehnt wurden. Hinzu kommt in einem solchen Fall auch, dass die Erwartungen der Teilnehmer zunächst enttäuscht wurden. Die gastgebenden Familien wiederum beurteilten das Verhalten der Teilnehmer aus ihrer ethnozentrischen Sicht als unhöflich und abweisend. Durch das anschließende gemeinsame Aufklären und Erklären des Missverständnisses konnte aber bei beiden Seiten der Schritt zur nächsten Phase ermöglicht werden. Man hatte erfahren, dass die eigenen Normen nicht unbedingt auch in der anderen Kultur gelten und konnte nun bei weiteren Missverständnissen davon ausgehen, dass die andere Seite mit der besten Absicht handelt.


Die Grenzen interkultureller Begegnungen

Schon vor Antritt einer Reise sollte man sich der Grenzen von interkulturellen Begegnungen, vor allem im befristeten Zeitraum eines Urlaubes, bewusst sein. Wie schon erwähnt wird es kaum möglich sein, die vierte Phase der Integration zu erreichen. Aber auch der Schritt, den Kulturschock zu überwinden, ist nicht einfach. Oft verhindert der Frust über nicht erfüllte Erwartungen eine weitere Annäherung und bewirkt einen Rückzug auf die Gruppe der Mitreisenden, die ja oft die gleichen Startprobleme haben und sich dann gegenseitig in der Ablehnung des Neuen bestärken. Negative Vorurteile finden in dieser Atmosphäre leicht eine Bestätigung, während positive Vorurteile oder Erwartungen, wie zum Beispiel von einer sprichwörtlichen Naturverbundenheit oder Gastfreundschaft der Einheimischen, enttäuscht werden.

Bei einem Workcamp in Mexiko sagte nach einigen Tagen des Mitlebens in einem Dorf ein Teilnehmer: »Es ist ja kein Wunder, dass die Leute hier zu nichts kommen, die sitzen ja den ganzen Tag nur rum und tun nichts.« In den Tagen vor dieser Äußerung war es der Besuchergruppe schwer gefallen, den erhofften schnellen Anschluss im Dorf zu finden. Wie sich später herausstellte, hatte der Frust darüber bei einigen Mitgliedern Ablehnung ausgelöst, und die Berechtigung dazu gab man sich durch die einfache Bestätigung bestehender Vorurteile selbst. Erst im weiteren Laufe des Aufenthaltes wurde den Besuchern deutlich, dass die Dorfbewohner verzweifelt auf den Beginn der Regenzeit warteten, um endlich ihre Felder bestellen zu können. Andere waren, als die deutsche Gruppe ihr Frühstück einnahm, schon seit vielen Stunden auf gewesen und hatten die kühleren Morgenstunden für die Feldarbeit genutzt.

In der Situation der Enttäuschung war es leicht, die bestehenden Vorurteile vom »faulen Südländer« bestätigt zu finden und eine Begründung für die Distanzierung zu finden, statt die Unsicherheit der Begegnung auszuhalten und sich mit der Situation der Menschen intensiv auseinanderzusetzen. Die empirische Tourismusforschung hat gezeigt, dass die Bestätigung von rassistischen Einstellungen und Vorurteilen bei Reisen in die Dritte Welt nicht die Ausnahme, sondern eher die Regel ist.

Entscheidend für einen bewussten Umgang mit Vorurteilen ist die gute Vor- und Nachbereitung einer Reise, die nicht nur Wissen über das zu besuchende Land vermittelt, sondern auch die Akzeptanz der neuen Kultur als absolut gleichberechtigt fördert. Weiterhin ist die Begleitung vor Ort durch eine Person, die beide Kulturen kennt und als Vermittler oder Integrationsfigur fungieren kann, von zentraler Bedeutung. Bei den genannten Fallbeispielen in Mexiko und im Senegal ist es nur durch die kulturelle Kompetenz eines Vermittlers (in diesem Fall des Workcamp-Leiters) möglich gewesen, Vorurteile zu entkräften und gegenseitiges Unverständnis aufzulösen. Vor diesem Hintergrund wird verständlich, warum es für Individualtouristen oftmals wesentlich schwieriger ist, einen konstruktiven, dauerhaften Kontakt herzustellen, als für die Teilnehmer einer gut vorbereiteten und begleiteten Begegnung. Aber auch bei Gruppenbegegnungen kommt es auf die individuelle Sensibilität und Bereitschaft der einzelnen Gruppenmitglieder an. Da die Aufgabe oder Infragestellung eigener Bewertungsmaßstäbe nicht einfach ist, ist die Motivation für die Reise ein zentraler Punkt für ihr Gelingen. Es ist fraglich, ob Reisende, deren primäre Motivation Abenteuerlust oder Flucht aus dem Alltag ist, bereit sind, die Anstrengungen zur Infragestellung der eigenen »mentalen Software« auf sich zu nehmen. Je geringer diese Bereitschaft ist, desto größer ist die Gefahr, dass der Sinn und Zweck einer Begegnungsreise nicht nur verfehlt, sondern sogar eine gegenteilige Wirkung erzielt wird. Deswegen sind die in den 90er Jahren aufgekommenen ›Begegnungsreisen‹, die mit rechtsradikalen Jugendlichen zum Zweck des Abbaus von rassistischen Einstellungen durchgeführt wurden, äußerst skeptisch zu beurteilen. Die Bereitschaft zum interkulturellen Lernen lässt sich nicht durch wohlmeinende Pädagogen erzwingen.

Eine weitere Voraussetzung für den sinnvollen Umgang mit Vorurteilen im Rahmen interkultureller Begegnungen ist nach Ansicht des Vorurteilsforschers Alexander Thomas ein gleicher (oder zumindest ähnlicher) ökonomischer und sozialer Status aller Beteiligten. Förderlich ist auch, wenn die Teilnehmer aus verschiedenen Kulturen zusammen an der Umsetzung eines gemeinsamen Zieles arbeiten, etwa im Rahmen eines Workcamps. Ferner sollten die jeweiligen gegenseitigen Einschätzungen in der Ausgangssituation nicht zu extrem und zu negativ sein, und die Kontakte sollten möglichst eng sein und sich auf zentrale Erlebnisbereiche beziehen. Diese Voraussetzungen zeigen sowohl die Begrenzungen wie auch die Möglichkeiten interkultureller Begegnungen im Dritte-Welt-Tourismus auf. Limitierend wirkt sich sicherlich aus, dass der ökonomische Status von Reisenden und ›Bereisten‹ in den Ländern der Dritten Welt oft sehr verschieden ist. Allein durch den Umstand, dass wir uns einen Flug dorthin leisten können, lässt uns in den Augen der dortigen Menschen als reich erscheinen (und wir sind es vergleichsweise ja auch). Der Demonstrationseffekt unseres Wohlstandes weckt neue Bedürfnisse bei ihnen. Bei Freundschaften, die sich entwickeln, kommt es immer wieder vor, dass um Geld oder Geschenke gebeten wird.

Bei einem Workcamp in Togo hatte sich gegen Ende aus diesem Grund eine schlechte Stimmung eingestellt und die deutschen Teilnehmer wollten frühzeitig das Camp verlassen. Die Leiter der deutschen und der togolesischen Gruppe vereinbarten einen Theaternachmittag, bei dem beide Gruppen der jeweils anderen einen Spiegel vorhalten sollten. Beide Gruppen zeichneten prompt ein schlechtes Bild voneinander. Trotzdem verstanden deutsche Teilnehmer, dass sie den Erwartungen der Togolesen - als Freunde auch Sachwerte zu teilen und als Gäste Geschenke zu machen - nicht nachgekommen waren. Die Togolesen wiederum sahen ein, dass die Deutschen sich missbraucht fühlten. Eine Wiederannäherung war jedoch aufgrund der kurzen verbleibenden Zeit nicht möglich.

Die durch unterschiedlichen ökonomischen und sozialen Status entstehende Abgrenzung kann - zumindest teilweise - durch die Betonung anderer, verbindender Elemente überwunden werden. Gerade das gemeinsame Arbeiten und Leben innerhalb von Workcamps schafft viele Bezugspunkte für einen produktiven Austausch. Jedoch geschieht dieser, wie die aufgeführten Beispiele zeigen, nicht automatisch, sondern ist von der Motivation der Teilnehmer sowie Begleitumständen, Vor- und Nachbereitung und Begleitung abhängig.


Was tun in Konfliktsituationen?

Ein Patentrezept zur Lösung von Konfliktsituationen bei Begegnungen von Menschen verschiedener Kulturen gibt es nicht, da auch die Konfliktbewältigung in den einzelnen Gesellschaften sehr unterschiedlich ausfällt. Der Versuch einer Konfliktbewältigung im offenen Gespräch, bei der man frank und frei die beobachteten Probleme anspricht, kann unter Umständen genau das Gegenteil des Erhofften bewirken - nämlich einen Rückzug des Gastgebers, der sich darin bestätigt fühlt, dass der Gast keine Manieren hat, wenn er ohne Rücksicht auf den »Gesichtsverlust« des Gegenübers unangenehme Dinge anspricht. Man sollte sich also zunächst einmal mit den Konfliktlösungsmechanismen der anderen Kultur vertraut machen. Wie aber frühzeitig feststellen, dass es überhaupt Probleme gibt und wodurch sie entstehen? In einem dreistufigen Modell, das für das Erkennen von Problemen und ihre Lösung hilfreich ist, lässt sich die Wechselwirkung von Reflexion, Wahrnehmung und Umsetzung darstellen. Regelmäßige Reflexionen über das Erlebte und die eigenen Handlungen lassen erkennen, was in der Begegnung mit anderen Menschen nicht ganz stimmig ist. Aufbauend auf dieser Sensibilisierung nehme ich beim nächsten Mal vielleicht mehr (potentielle) Schwierigkeiten wahr und bemerke früher, wann sie auftreten. Durch die Änderung meines Handelns und meiner Reaktionen auf andere Menschen kann ich in der auf meiner Wahrnehmung aufbauenden Reflexion Fehler vermeiden. So kommt man selbst Schritt für Schritt weiter. Am besten ist es, wenn man sich innerhalb einer Gruppe die gegenseitigen Wahrnehmungen in einer Gesprächsrunde mitteilt und eventuelle Projektpartner einbezieht. Durch regelmäßige Reflexion hat man die Möglichkeit, Konflikte frühzeitig wahrzunehmen und durch Umsetzung von Lösungsansätzen zu entschärfen. Eine Eskalation kann dadurch vermieden werden.

Stark gekürzte Fassung aus: Christian Stock (Hrsg.): Trouble in Paradise. Düsseldorf 1997




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