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Tourismus|Rassismus|Migration

Schwarze Haut dient in der kubanischen Tourismuswerbung als Symbol für Sinnlichkeit, gute Musik und Lebensfreude. Die meisten Tätigkeiten, die direkten Kontakt mit TouristInnen voraussetzen, werden jedoch von »weißen« KubanerInnen verrichtet.

Begründet wird dieser diskriminierende Ausschluss in der Regel mit den möglicherweise vorhandenen rassistischen Einstellungen und Erwartungen der TouristInnen. Offensichtlich erscheint bei der Verknüpfung von Tourismus und Rassismus die Frage nach der Struktur und Funktion der Bildproduktion zentral, ein Tourismus ohne »Bilder« ist kaum denkbar. So sind es Bilder – sei es in Reiseprospekten, Fotos von FreundInnen oder auch »nur« in der Vorstellung – die Menschen zum Reisen veranlassen. Schöne Landschaften und »fremde«, »exotische« Menschen locken jährlich Millionen von Reisenden in die Ferne. Dort wiederum werden gerne solche »Fotos« »geschossen«, die die eigene Erwartung an die Fremde bestätigen.

Gerade die »Anderen« dienen dabei als Objekt und Kulisse vielfältiger (Bild-) Produktionen. Sei es ihr »exotisches« differentes Aussehen, ihre kulturellen Praktiken – wobei der Blick verstärkt an folkloristischen Elementen hängen bleibt - oder ihr »anderes« soziales und ökonomisches Leben. Der exotische Blick auf die Fremden schreibt ihnen psychische, soziale Eigenschaften und Fähigkeiten zu, die die TouristInnen bei sich selbst verloren glauben: ein nicht instrumentell-technisches Verhältnis zur Natur, Einheit von Körper und Seele, ungezügeltes Ausleben von Fantasien und Leidenschaften, um nur einige zu nennen. Das Vorstellen und Erleben von Andersheit und Differenz sind konstitutives Merkmal der Tourismusindustrie und der Begehrlichkeiten der Reisenden.


Bilderwelten im Reisekatalog

Der Reiseprospekt ist zu einem zentralen Element der Vermarktung von positiven Bildern und Projektionen geworden. Er ist mittlerweile in der Gesellschaft ein derart standardisiertes Element der Alltagskultur, dass sein konstruierter Warencharakter weitgehend übersehen wird. Hier finden sich quasi konzentriert alle Klischees über die zu bereisenden Länder und Menschen. Die jeweiligen Bilder über die `Anderen` variieren dabei im Laufe der Zeit und zwischen verschiedenen Regionen und werden angepasst an die sich wandelnden Bedürfnisse und Erwartungen der reisenden Gesellschaft. Das Bild selbst bleibt dem Zwecke der Vermarktbarkeit untergeordnet. Die Darstellungen, die den Einheimischen außerhalb von sozialem oder historischem Kontext darstellen, lösen das Bild des Anderen von jeglicher Realität, er wird zum Spektakel der Ethnizität.

Die Einheimischen selbst müssen mittlerweile nicht mehr per se in ihrer permanenten kulturellen Differenz »festgefroren« werden, um Differenz und damit Distinktionsgewinne zu ermöglichen. Vormals als »verwestlicht« kritisierte »Fremde«, die nicht in ein solch statisches Bild passten, geraten im Rahmen postmoderner Identitätskonstruktionen nun zunehmend stärker in den Blick. Ihre vermeintliche »hybride« Identität wird oberflächlich abgefeiert, letztlich jedoch wiederum für das eigene Erleben und Positionieren genutzt. Ein neues »konsumierbares« Differenzmodell ist damit auf den Markt touristischer Erfahrungen getreten. Hier zeigt der Tourismus seine hohe Integrationskraft. Abweichende Bilder werden entweder komplett ausgeblendet oder dienen der Kreation neuer touristischer Erfahrungsmöglichkeiten.
Es würde jedoch zu kurz greifen, den Reisenden als bloßes Opfer touristischer Bildproduktion zu sehen. Die Mehrzahl der TouristInnen lesen einen Reiseprospekt im vollen Bewusstsein der fiktiven Realität und sind sich durchaus bewusst, dass ihnen ein fantastisches, geträumtes Paradies verkauft wird. Und doch reichen wenige dieser plakativen Schlüsselbegriffe aus, um überzeugend für eine Reise zu motivieren und auf der Reise auszublenden, was den vorgefassten Bildern widerspricht.

Parallel zu den paradiesischen Bildern existieren ebenso negative Stereotype. So wird den InderInnen nicht nur die Fähigkeit einer besonderen Spiritualität, sondern auch das Selbstverschulden für Armut, Dreck, Verfall und Chaos zugeschrieben.

Positive Stereotype gelten nur solange, wie Differenz genussvoll konsumierbar ist. In dem Moment jedoch, in dem die »Andersartigkeit« nicht mehr kontrollierbar ist, wird sie leicht als bedrohlich empfunden. Dann tritt an die Stelle des exotisierenden Blicks schnell ein abwertendes Stereotyp: Das Romantisieren von Armut schlägt dann um, wenn etwa Kinder, statt in die Kamera zu lächeln, aggressiv betteln und die touristische Distanz verletzen.


Fantastische Authentizität

Obwohl die TouristInnen nicht oder nur sehr selektiv an der Realität interessiert sind, hat das Authentische für sie höchste Priorität. Für authentisch gehalten wird, was dem vorgefassten Bild nicht widerspricht. Diese erwartete Authentizität regelt denn auch im Reiseland welche kulturellen Praktiken den Reisenden gezeigt werden und wer überhaupt mit den Reisenden in Kontakt kommt. In Andalusien beispielsweise wird aller Orten mit der maurischen Vergangenheit um TouristInnen geworben, die »maurische Gegenwart«, die zahlreichen ArbeitsmigrantInnen, jedoch konsequent ausgegrenzt.

Als nicht mehr authentisch vermarktbar erweisen sich die MigrantInnen. Auch wenn recht offensichtlich eine Vielzahl von MigrantInnen innerhalb der touristischen Infrastruktur beschäftigt sind, gelten sie nie als »real local«. In Griechenland etwa ist der backstage – Bereich für albanische und osteuropäische MigrantInnen »reserviert«, direkter Kontakt mit den TouristInnen bleibt den vermeintlich echten griechischen Einheimischen vorbehalten. Oder zumindest denen, die gegenüber den TouristInnen glaubhaft den Einheimischen spielen können – also über die nötigen Sprachkenntnisse verfügen und vor allem auch das entsprechende Aussehen haben. Ein individueller Aufstieg vom Tellerwäscher zum Kellner ist somit durchaus möglich, solange dieser von den Reisenden unbemerkt bleibt.


Tourismus und Migration

Dennoch ist der Tourismus mit seinem immensen »Bedarf« an billigen unqualifizierten Arbeitskräften ein zentraler Faktor für eine Migration. So sind viele Urlaubsdestinationen gleichermaßen von TouristInnen wie MigrantInnen abhängig. Von denen einen, wegen ihrer Devisen, von den anderen wegen der geringen Lohnkosten.

Andererseits »profitieren« viele MigrantInnen von der touristischen Infrastruktur, in dem sie etwa mittels Touristenvisum überhaupt erst den Grenzübertritt bewerkstelligen können. Dieser Zusammenhang zwischen Tourismus und Migration in den touristischen Destinationen wird weithin ausgeblendet. Entweder werden die MigrantInnen und ihre Arbeitsbedingungen selbst in den backstage-Bereich »verbannt«, wo sie für TouristInnen möglichst unsichtbar die nötige Infrastruktur aufrechterhalten. Oder die Migration selbst wird verdeckt, um das produzierte Bild »authentisch« zu belassen.

Dieses konsequente Ausblenden des backstage-Bereiches und der teilweise durchaus wahrgenommenen Risse und Unschärfen der Urlaubsbilder ermöglicht den Reisenden ihre vorgedachte »Wahrheit« über die Fremde und fremden Lebensstile beständig bestätigt zu finden. Sicher ist das Verhältnis von individueller Erfahrung und Reflexion zu gesellschaftlich konstituierten Blicken und Interpretationen ein komplizierter Vorgang. Im Urlaub geht es jedoch in aller Regel nicht um komplexe Zusammenhänge oder gesellschaftliche Analysen, die Bilder sprechen für sich und werden – oft trotz besseren Wissens - weitgehend so akzeptiert. Ein Kreislauf, der sich gegenseitig permanent verstärkt: der Reiseprospekt formt den Urlaub, dieser formt das Urlaubsziel, die geschaffene Realität »bestätigt« den Prospekt.

Dieses selbstproduzierte Bestätigen wird als »Wissen« verarbeitet und zum Erklärungsmodell für soziale, wirtschaftliche und rechtliche Unterschiede »daheim« und »unterwegs«. Das auf Reisen erlangte rassistische Wissen legitimiert damit reale (sozialen, ökonomischen,...) Differenzen und Hierarchien.

Um diese Definitionsgewalt aufzubrechen, reicht es nicht, alternative, »andere« Bilder der touristischen Imageproduktion entgegenzusetzen – denn auch kritisch intendierte Gegenbilder werden in den Kreislauf der Vermarktbarmachung eingespeist, als eine neue Seite im Katalog.

FernWeh




Von Fremden und Allzufremden an der Costa del Sol

von Dominik Bloedner

Seltsame und ungebetene Gäste, die da in den frühen Morgenstunden eines herrlichen Sonnentages Ende Juni 2001 am Strand des Hotels Puente Romano auftauchten, einer der ersten Adressen der selbsternannten Jet-Set-Metropole Marbella. Anders als die Reichen und Schönen kamen sie nicht auf einer Luxusyacht oder mit dem Privatflugzeug, sondern in einer patera – in einem dieser leichten Boote aus Holz oder Gummi, in denen zwischen 25 bis 40 Menschen Platz finden. Sie reisten auch nicht aus England, Deutschland oder Saudi-Arabien an, um an der Costa del Sol ihren Urlaub zu verbringen oder sich in ihrem Zweitwohnsitz und Altersdomizil zu erholen. Und selbstverständlich hatten sie auch nicht bei TUI, Neckermann, Thomas Cook oder anderen Reiseveranstaltern ihr Ticket gebucht. Die 26 Flüchtlinge aus Marokko und anderen armen afrikanischen Staaten gaben ihr Schicksal und ihr letztes Geld vielmehr in die Hände mafiöser Schlepperbanden, in der Hoffnung, in der »Festung Europa« als Erntehelfer oder Bauarbeiter ein Auskommen zu finden.

An Spaniens Sonnenküste prallen ziemlich gegensätzliche Welten aufeinander. Zum einen sind da das Flüchtlingselend, die tausendfach gescheiterten und oft tödlichen Versuche, Armut, Hunger und Krieg in den jeweiligen Herkunftsländern zu entfliehen. Zum anderen haben sowohl Luxus- wie Massentourismus als Hauptwirtschaftsfaktoren dem ehemals armen Andalusien zu beträchtlichem Wohlstand verholfen. Die Zahlen für die Urlaubssaison 2001 zeigen trotz der wiederkehrenden Anschläge der baskischen Terrorgruppe ETA, der ungelösten Umwelt- und Abwasserprobleme, einer ungezügelten Urbanisierungswut und trotz der immer stärker anziehenden Preisspirale steil nach oben.

Das liegt vielleicht auch an der Diversifizierung des Angebots. Denn neben Sonne, Strand und Meer hat sich der Golftourismus schon lange als teure und für die Investoren gewinnbringende Alternative etabliert. Mehr als 40 Golfplätze gibt es mittlerweile an dem 150 Kilometer langen Küstenstreifen um Málaga, Tendenz steigend. Aber nicht nur Golfplätze sorgen für den Boom, sondern auch die Immobilienbranche. Vielleicht auch, weil kurz vor der Euro-Einführung im Januar 2002 noch jede Menge Schwarzgeld gewaschen werden muss. Und natürlich, weil die Baubranche auf billige weil illegale Arbeitskräfte zurückgreifen kann. Häufig »befreien« Guardia Civil und Bauaufsichtsbehörde die wie Sklaven gehaltenen marokkanischen Bauhelfer ohne Papiere und schieben sie in ihr Heimatland ab. Die Ironie bei der Geschichte: Die Baubranche an der Costa del Sol hat sich der maurisch-mediterranen Architektur verschrieben: Bunte Fliesen, dezent plätschernde Springbrunnen in den lauschigen Innenhöfen und die typischen orientalischen Torbögen erweisen der Zeit vor 1492 ihre Referenz, damals, als »Al-Andalus« unter der Herrschaft der maurischen Nasridendynastie seine kulturelle und wirtschaftliche Blüte erlebte. Die maurische Vergangenheit dient als Werbemagnet. In den für den europäischen und US-amerikanischen Markt gedruckten Fremdenverkehrsprospekten über Andalusien wimmelt es nur so von Anspielungen auf den Mythos von »Tausend und einer Nacht«. Und seit langem ist die Alhambra in Granada das mit Abstand meist besuchte Touristenziel in ganz Spanien. Vor der maurischen Gegenwart hingegen verschließt die Tourismusbranche jedoch die Augen. Allenfalls werden die Illegalen als unsichtbare Arbeitskräfte in der Baubranche und der Agrarindustrie geduldet. Und natürlich auch gebraucht.

Auch wenn die illegalen ImmigrantInnen so gut wie gar nicht im Straßenbild der Tourismuszentren auftauchen, ist Afrika nicht nur als maurische Vergangenheit visuell im Alltag an der Costa del Sol präsent, sondern auch geographisch zum Greifen nah. Fast können die deutschen Ruheständler in ihren Hochhäusern einen Blick auf den Kontinent an der anderen Seite des Mittelmeeres erhaschen. Eine weitaus bessere Sicht hat man freilich etwas weiter südwestlich, im Surferparadies Tarifa. Eine gerade mal 14 Kilometer breite Meerenge trennt hier den südlichsten Zipfel Spaniens von Afrika.

Die einen kommen hierher, weil ihnen die starken Winde beste Bedingungen fürs Wellenreiten bieten und gleichzeitig dafür sorgen, dass dieser stürmische Küstenabschnitt bisher von den üblichen Betonburgen für Badegäste verschont geblieben ist. Die tätowierten Langhaarigen und ihre VW-Busse in den Dünen verbreiten einen Hauch von kalifornischer Exotik und Wildheit – viele von ihnen aus Deutschland, viele lebendige Relikte aus den siebziger Jahren. In dieser Freak-Idylle stören allenfalls die, die unter gänzlich anderen Bedingungen bei Dunkelheit die kurze, gefährliche Überfahrt wagen: manchmal treffen die Surfer auf ihrem Weg zum Strand auf die in der Nacht angeschwemmten Leichen derer, die die Bootsfahrt mit dem Leben bezahlt haben. Die Stimmung in der Aussteigeridylle dämpft das allenfalls am Rande.

Lästig sind dagegen die häufigen Patrouillen der technologisch aufgerüsteten Guardia Civil, die die Flüchtlinge an der illegalen Einreise hindern sollen. Die südlichste Grenze Europas hat sich seit dem Schengener Abkommen zu einem Hochsicherheitstrakt entwickelt. Die Kontrollen zu Land, zu Wasser und in der Luft können indes nicht verhindern, dass jede Nacht zahlreiche Immigranten und Immigrantinnen das spanische Festland erreichen und sich unerkannt in Richtung Norden aufmachen. Inoffizielle Schätzungen gehen davon aus, dass nur jedes vierte oder fünfte Boot von den Grenzschützern entdeckt wird. Wer sich wie viele Flüchtlinge aus Westafrika der persönlichen Papiere entledigt hat und weit weg von der Küste in eine Polizeikontrolle gerät, ist dann zwar noch lange nicht legal, kann aber nicht mehr so einfach abgeschoben werden. Denn keiner weiß so recht, wohin man diese Flüchtlinge schicken soll. Bei den Leuten aus Marokko ist das anders, denn Spanien hat mit seinem Nachbarland ein Rückführungsabkommen geschlossen. Wieviele Illegale sich jetzt genau in ganz Spanien aufhalten, darüber gibt es verständlicherweise keine verlässlichen Angaben. Flüchtlingsunterstützer vor Ort sprechen von etwa 130.000, die Hilfsorganisation Caritas International schätzt, dass es um die 250.000 Flüchtlinge sind.

Der Menschenschmuggel nach Europa ist zu einem äußerst einträglichen Geschäft geworden: Zwischen 70.000 bis 300.000 Pesetas (420 bis 1.800 Euro) werden für die kurze Überfahrt kassiert, vergleichsweise wenig, denkt man an das Schicksal von Flüchtlingen aus weiter entfernten Gebieten. Von Marokko bis nach Valencia oder Barcelona beträgt der Fahrpreis allerdings schon knapp das dreifache. Manche Schlepperorganisationen bieten ihren Kunden als besondere Dienstleistung sogar drei verschiedene Versuche an, statistisch gesehen also durchaus eine reelle Chance. Selbst wenn die Überfahrt geschafft ist, bleibt das gelobte Land für viele der Flüchtlinge jedoch immer noch eine Illusion. Sie werden von den Schleppern, in der Regel ihre eigenen Landsleute, so lange festgehalten und zum Teil auch schwer misshandelt, bis der Restbetrag aufs Konto der Mafia geflossen ist. Mädchen und junge Frauen müssen ihr gelöstes Ticket oft in Bordellen unter sklavenartigen Bedingungen abarbeiten.

Ende Juli 2001 haben Spanien und Marokko zwar ein Abkommen über die Anwerbung von Arbeitskräften geschlossen. Je nach Bedarf sollen zwischen 12.000 und 20.000 Marokkaner pro Jahr eine offizielle Arbeitserlaubnis erhalten. Die Nachfrage aus dem Nachbarland ist damit jedoch bei weitem nicht gedeckt. Und mit anderen afrikanischen Staaten gibt es keinerlei vergleichbare Abkommen. So stehen die Immigranten Schlange auf der anderen Seite der Meerenge, in Tanger und anderswo. Und die, die einmal die Überfahrt geschafft haben, stehen später vor den Ausländerbehörden auf dem spanischen Festland Schlange. Ende November 2000 sorgte ein Gerücht für chaotische Zustände im Zentrum von Almería. In dem falschen Glauben, kurz vor einer geplanten Änderung im Ausländergesetz ihre Situation noch legalisieren zu können, kamen aus ganz Spanien mehr als 13.000 Flüchtlinge in die Stadt. Drei Tage und Nächte warteten sie geduldig auf der Straße, bis sie unverrichteter Dinge und ohne Papiere wieder abziehen mussten.

Die Statistiken der Guardia Civil und des Roten Kreuzes zeigen steil nach oben. Allein im August 2001 sind an den Küsten von Algeciras und Tarifa 1.903 Menschen – in der Mehrzahl Menschen aus Marokko – bei dem Versuch verhaftet worden, illegal nach Spanien einzureisen. Von Januar bis September wurden an der Meerenge und in den beiden spanischen Enklaven auf dem afrikanischem Festland, Ceuta und Melilla, 13.624 illegale Einwanderer gezählt. An den steigenden Zahlen der Einwanderer hat auch die umstrittene Reform des Ausländergesetzes nichts ändern können. Von der regierenden konservativen Partido Popular (PP) entworfen, um die Immigration in geordnete Bahnen zu lenken und den Schleppern das Handwerk zu legen, stellt diese Reform de facto eine Verschärfung der Situation der Illegalisierten dar und erleichtert den Behörden die Abschiebung. So wurde unter anderem ihre Versammlungsfreiheit beschnitten und die nachzuweisende Verweildauer in Spanien von bisher zwei auf nun fünf Jahre heraufgesetzt. Dann erst dürfen die Flüchtlinge eine zeitlich befristete Aufenthaltserlaubnis beantragen. In Barcelona, Almería und einigen anderen Städten machten während der Sommermonate Flüchtlinge durch Hungerstreiks in Kirchen oder auf öffentlichen Plätzen auf ihre Situation aufmerksam.

Doch die versuchte Abschreckung funktioniert nicht. Die Bilder im spanischen Fernsehen gleichen sich immer noch von Tag zu Tag: entkräftete, unterkühlte Flüchtlinge, die von der Guardia Civil in die Notaufnahmelager des Roten Kreuzes gebracht werden, damit sie dort vor ihrer Abschiebung wieder aufgepäppelt werden. Die Kapazitätsgrenzen in und um Tarifa sind erreicht, der andalusische sozialistische Ministerpräsident Manuel Chaves schickte Anfang 2001 sogar einen Hilferuf an die spanische Armee. Immer öfter müssen Turnhallen oder andere öffentliche Gebäude zum Flüchtlingslager umfunktioniert werden, um zumindest die Grundversorgung zu gewährleisten. Im Idealfall. Ende September kritisierten Vertreter des Roten Kreuzes erstmals öffentlich, dass die Guardia Civil die einmal eingefangenen Flüchtlinge oft ohne jegliche medizinische Versorgung direkt in andere, erst vor kurzem aus dem Boden gestampfte Abschiebelager abführe.

Immer mehr Immigrantinnen und Immigranten sterben bei ihrer Reise in den Norden. Angeschwemmt wie Treibgut, werden sie von der Guardia Civil mediengerecht an den Stränden aufgebahrt, damit bereits in den Mittagsnachrichten die Leichen über den Bildschirm flimmern können. Nach Angaben von Atime (Asociación de Trabajadores Inmigrantes en España), einer Organisation vor allem marokkanischer Arbeitsimmigranten, sollen in den vergangenen fünf Jahren 3.924 Menschen in der Meerenge von Gibraltar bei Bootsunglücken ertrunken sein. 3.237 davon noch in marokkanischen Hoheitsgewässern, der Rest vor Spaniens Küsten. Zum einen, weil die überladenen und altersschwachen pateras den starken Winden und Strömungen nicht gewachsen sind, zum anderen, weil einige dieser Boote von den Schleppern sich selbst überlassen werden und dann manövrierunfähig in der Meerenge herumtreiben.

Theoretisch könnte man auch ohne die gefährliche Überfahrt in die Festung Europa gelangen, beispielsweise versteckt in oder unter einem Lastwagen auf dem Weg Richtung Norden. Dies hat mittlerweile aber genausowenig Aussicht auf Erfolg wie der Weg über die beiden spanischen Enklaven auf dem afrikanischen Festland, Ceuta und Melilla – dort, wo der Gegensatz zwischen Nord und Süd, arm und reich noch viel unmittelbarer ist. Beide Städte sind von der Außenwelt nahezu hermetisch abgeriegelt. Hier, auf afrikanischem Boden, verläuft seit gut zwei Jahren die bestgesicherte Grenze Europas: Stacheldrahtzäune auf Betonsockeln, Wachtürme in regelmäßigem Abstand, Richtmikrophone und ferngesteuerte Infrarot-Kameras verurteilen fast jeden Versuch des illegalen Grenzübertritts von Anfang an zum Scheitern. Und auch hier ist man an anderen Besuchern hingegen durchaus interessiert. Das Tourismusbüro der andalusischen Landesregierung wirbt für Melilla und dessen maurische Vergangenheit: »Sin salir de Europa... acercate, Melilla merece la pena. (Ohne Europa zu verlassen... komm hierher, Melilla lohnt sich.)« Vor der Aufrüstung der Grenzanlagen konnten pro Tag immerhin etwa 300 illegale Flüchtlinge die achteinhalb Kilometer lange Grenze zwischen Ceuta und dem afrikanischen Festland überwinden. Heute bleibt als einziger Weg in die beiden Enklaven das Meer, oder man wählt eben doch gleich den direkten Weg zur iberischen Halbinsel.

Für die wenigsten der einmal gelandeten Flüchtlinge gibt es direkt in Marbella, Fuengirola oder Nerja eine Beschäftigung. Die Touristikzentren an der Costa del Sol dienen meist nur als Durchgangsstation. Arbeit versprechen vor allem die schier endlosen Olivenhaine in der Provinz Jaen, die ausgedehnten Erdbeerplantagen in der Provinz Huelva sowie die unzähligen Treibhäuser – die sogenannten invernaderos – an der Küste von Almería.

Englische, deutsche und skandinavische Residenten leben an der Costa del Sol zwar auch in ihrer abgeschotteten kleinen Welt, geduldet und wegen ihres Geldes von den Spaniern willkommen geheißen. Auf beide, Flüchtlinge wie Touristen, ist die spanische Wirtschaft angewiesen, die einen grenzt sie aus, die anderen werden hofiert. Zur Abwehr der Flüchtlinge werden Grenzen gesichert und der Polizeiapparat aufgerüstet. Um den Touristen ihren Aufenthalt so angenehm wie möglich zu machen, wird unendlich viel Geld in Infrastruktur und Public Relations gesteckt. Andere Fremde, andere Umgangsweisen. Jedes Jahr zu Beginn der Badesaison, wenn die Strände in einigen Gemeinden von der Meeresströmung und dem Wind nahezu abgetragen sind, werden Abertausende von Kubikmetern feinster Sandstrand importiert. Der Badegast soll es schön haben. Der Sand kommt übrigens aus Afrika.

Der Text ist eine stark gekürzte Fassung aus: Gestrandet - Von Fremden und Allzufremden an der Costa del Sol. Aus: Im Handgepäck Rassismus. Beiträge zu Tourismus und Kultur, FernWeh, 2002.
Fotoserie:
Fotos mit freundlicher Genehmigung der Costa del Sol Nachrichten




Inquisition an der Grenze

von Nalini Singh

Der fotografische Blick auf die Hinterbühnen des Tourismus

Schon lange wird der Fotografie nicht mehr bloßes Abbilden der Wirklichkeit oder gar Objektivität zugesprochen. Fotos entstehen zufällig, die Auswahl der Details unterliegt subjektiver Betrachtung und den Verlockungen technischer Möglichkeiten, Bilder zu verändern. Spätestens seit dem massenhaften Gebrauch der Digitalfotografie ist Wirklichkeitsinterpretation durch die Linse eine relative geworden. Digitales Fotografieren ist billig und schnell, das Verwerfen der gemachten Bilder jederzeit möglich. So wird unweigerlich immer mehr fotografiert, die Auswahlkriterien sind zunehmend bedeutungslos.

Der touristische fotografische Blick ordnet die Welt in besonderem Maße nach seinem Wohlgefallen – nicht nur im Zeitalter der Digitalfotografie. In der Vielzahl von Diashow-Werbeplakaten, die sich durch die Republik ziehen, wird die Willkürlichkeit der Wirklichkeitsinterpretation von touristischen (Fern-)Reisezielen sichtbar. Seien es Touren mit dem Kanu durch die Wildnis des Amazonas oder ein lächelnder, »typisch« kubanischer Bauernjunge für den Multimediavortrag »Cuba Real« – die Fremdheitsbilder und Sehnsuchtsprojektionen von TouristInnen werden schon vor der tatsächlichen Reise durch Diashows, Reisekataloge oder Werbefilme entworfen. Diese Bilder scheinen austauschbar, zeigen Sonne, Strand und Palmen ohne Makel oder die lokale arme-aber-glückliche Bevölkerung. Sie inszenieren eine Scheinwelt und reproduzieren touristische Klischees.

Differenz ist die Leinwand, auf die schon vor der Reise all das projiziert werden kann, was in der eigenen kulturellen Gegenwart vermisst wird. Im Reisegepäck befinden sich daher Stereotype und Vor-Bilder, mit denen sich TouristInnen vor allem selbst definieren. Die Enttäuschung ist groß, wenn die konkreten Reiseerfahrungen nicht mit den Bildern über die Fremde in Einklang gebracht werden können. Viele reagieren auf dieses »Enttäuschen« damit, idealistische Konstruktionen mit Abwehr überzukompensieren oder das Paradies zu (re-)inszenieren, wie dies bereits Künstler wie Gauguin oder Nolde taten.

Die Macht der wieder nach Hause zurückgebrachten Bilder ist deshalb so kraftvoll, weil sie den Maßstab für die Erinnerung setzen (vgl. 5. Preis, Maria Stehle). In der Rückblende werden die Bilder ohne Kontext präsentiert und können so für touristische Projektionen herangenommen werden. Durch die Rückspiegelung der Bilder nach Hause wird das Mitgenommene ästhetisiert. Ein touristisches Foto erhält seinen Wert erst durch die Rückkehr, so kann die Erinnerung gebändigt und gelenkt werden. Denn Fotografie steht weit mehr für menschliche Hoffnungen, Ängste, Erinnerungen, Vorlieben und Aktivitäten als für die Realität. Sie ist ein Zufallsprodukt, das unzusammenhängende Erinnerungen zusammenbringt. Damit verweist sie immer nur auf einen ganz speziellen Moment, das Bestimmte, das Zusammentreffen – »auf das eine, genau das, das da« (Barthes 1985).


Visueller Konsum

Der Globus ist nur für uns zusammengerückt. Eine Reise in den Süden kann sich heute fast jeder Student oder Auszubildende leisten. Die Reise vom Süden in den Norden ist dagegen nur wenigen Privilegierten und Geschäftsleuten vorbehalten. Dazu müssen sie die Einreiseschranken der Industrienationen überwinden. Die Länder der Dritten Welt empfangen die devisenbringenden UrlauberInnen aus dem Norden mit offenen Armen. Die Besucher von dort werden hier meist abgewiesen.

»Steh gerade«, beruhige ich mich, »es wird schon nichts passieren«. Aber meine Knie werden weich. Dann bin ich an der Reihe. »Wer hat sie hierher eingeladen?« fragt der Einwanderungsbeamte am Londoner Flughafen Heathrow. Wie ein Pfeil steckt seine Frage in meinen Stimmbändern. »Ich bin Touristin«, sage ich mit leiser Stimme. Sein Blick gleitet über meinen Sari, ein Kleidungsstück, mit dem er sicherlich Indiens ‘unterernährte Horden’ assoziiert. »Was verdienen Sie? Haben Sie genug Geld für ihren Aufenthalt hier?« fragt er von oben herab. »Ja, meine Regierung gestattet mir 250 Dollar,« erwidere ich und komme mir durch diese öffentliche Kontrolle meiner Zahlungsfähigkeit plötzlich ganz arm vor. »Haben Sie Kinder?« lautet die nächste Routinefrage. Jetzt packen meine Finger den Pfeil in meinem Hals, ich ziehe ihn heraus, und meine Stimme kommt zurück: »Was hat das mit meiner Einreise zu tun?« antworte ich mit einer Gegenfrage. »Warum sind Ihre Kinder nicht bei Ihnen?« zischt er unverschämt und meint wohl, er wiederhole nur seine Frage. »Es liegt an mir, ob ich sie mitbringe oder nicht.« Worte, die fliegen, aber nicht landen. »Und es liegt an mir, ob ich diese Antwort akzeptiere oder nicht.« Die Sätze fallen zwischen uns wie Schrotkugeln.

Ungleiche Gegner stehen sich da gegenüber. Für ihn gelten offenbar mein Sari und mein Pass als Hinweise darauf, dass ich nach Großbritannien komme, um mich hier niederzulassen, einem Briten seinen Arbeitsplatz wegzunehmen und der staatlichen Krankenversicherung einen ganzen Wurf farbiger Kinder aufzuhalsen. Für mich ist diese Begegnung ein Schock. Ich komme mir wie verbrüht vor. In Paris-Orly, Amsterdam-Schipol und anderen Flughäfen der industrialisierten Welt scheinen die Einwanderungsbeamten nach dem gleichen Muster vorzugehen, wenn sie AsiatInnen oder AfrikanerInnen vor sich haben: Ihre Einreise soll möglichst verhindert werden.

Daheim in Asien kann eine Frau Ärztin, Politikerin oder einfach nur eine angenehme Person sein, 165 Zentimeter groß und aufrechten Ganges. An einem westeuropäischen Flughafen wird sie zum reisenden Zwerg, der gegen vorgefasste Meinungen ankämpft - zum Beispiel, dass sie durch die Hintertür einwandern will, dass sie Drogen schmuggelt, Babys oder Hausangestellte vermittelt oder alles auf einmal. Mit einer jährlichen Zuwachsrate von rund 20 Prozent bilden Reisende aus Asien den am schnellsten wachsenden Bereich des internationalen Reiseverkehrs. Und doch fühlen sich die meisten AsiatInnen unbehaglich, wenn sie am Flughafen eines Industrielandes eintreffen.

Eine philipinische UN-Beamtin sagt: »Die Einwanderungsbehörden behandeln mich wie eine Hausangestellte. Ich scheue mich immer wieder vor dieser Erfahrung. Wenn irgend möglich meide ich Schlangen, in denen andere philipinische Reisende stehen, damit man mich nicht mit ihren ›Motiven‹ in Verbindung bringt. Ich komme mir schäbig vor, dass ich sie verleugne, aber so ist es nun einmal am zweckmäßigsten.«

Neulich konnte man zur Nachtzeit einen neugierigen Besucher auf Kalkuttas Straßen erleben: Jack Lang, Frankreichs dynamischer Kultur- und Kommunikationsminister. Er machte einen Privatbesuch bei bekannten klassischen Musikern. »Dies ist eine hochentwickelte Kultur« sagte er spontan, »es muss zwischen uns mehr Austausch geben.« »Aber Europa riegelt sich doch selbst ab«, gab ich zurück. »Wird die EU sich abschotten?« Nach einer kurzen Pause erwiderte er: »Ich kann es wirklich nicht sagen. Keiner weiß es.« Und dann schwieg er. Will irgend jemand in Europa das Schweigen brechen?

Der Text ist leicht gekürzt übernommen aus dem Buch: »Zum Beispiel Tourismus« von Jürgen Hammelehle, das 1990 im Lamuv Verlag erschien.

Seit dem Verfassen dieses Artikels sind fast 15 Jahre vergangen und die Abschottung Europas hat inzwischen ein Ausmaß erreicht, wie es damals wohl nur schwer vorstellbar war. Während TouristInnen aus Europa in nahezu alle Länder visumsfrei und ohne weitere Komplikationen einreisen dürfen, wird es für Menschen aus Asien, Afrika oder Lateinamerika zunehmend schwieriger, eine Einreiseerlaubnis für die Länder der EU zu bekommen. Innerhalb Europas ist es auf den ersten Blick zwar leichter geworden, sich grenzüberschreitend zu bewegen, damit einher geht jedoch eine rigorose Abriegelung nach Außen. Nach der Erfahrung, dass sich während des Nationalsozialismus viele verfolgte Menschen nicht aus Deutschland retten konnten, weil kaum ein Land bereit war, sie aufzunehmen, wurde das Grundrecht auf Asyl in die deutsche Verfassung mit aufgenommen. Doch dieses Recht ist mittlerweile durch unzählige Zusatzregelungen faktisch abgeschafft. So gibt es am Frankfurter Flughafen seit einigen Jahren einen Gefängnisbereich, in den all die gepfercht werden, die Asyl beantragen wollen. Auch Kinder müssen dort oft wochenlang ausharren, bis entschieden ist, ob ein Asylverfahren überhaupt eingeleitet wird. Die Mehrheit der dort isolierten Flüchtlinge wird jedoch wieder abgeschoben, ohne je einen Fuß nach Deutschland gesetzt zu haben.

»Der Pass ist der edelste Teil von einem Menschen. Er kommt auch nicht auf so einfache Weise zustande wie ein Mensch. Ein Mensch kann überall zustandekommen, auf die leichtsinnigste Art und ohne gescheiten Grund, aber ein Pass niemals. Dafür wird er auch anerkannt, wenn er gut ist, während ein Mensch noch so gut sein kann und doch nicht anerkannt wird.«

Bertolt Brecht, Flüchtlingsgespräche




... muss die Freiheit wohl grenzenlos sein

Die Sicherheit im Tourismus verlangt nach mehr Kontrolle

Bali, Mombasa und Djerba stehen für eine Serie terroristischer Anschläge auf Touristenzentren. Sie vergegenwärtigen, wie brüchig die Schutzmaßnahmen zur Herstellung der Reisesicherheit sind. Nun wird dieser »vagabundierenden« Gewalt im und auch durch Tourismus mit diffusen und bislang umstrittenen Mitteln begegnet – und dabei mehr denn je die Migration kontrolliert.

von Martina Backes

Der Fremdenverkehr hat nach einer Reihe terroristischer Anschläge vielerorts einen Einbruch erlitten. Insbesondere der weltweite Ferntourismus blieb bis Ende letzten Jahres weit hinter den Prognosen zurück und erholt sich nur langsam. Zwar war die Mehrzahl der jüngsten Anschläge – etwa in Istanbul im November 2003 – nicht direkt gegen Touristen gerichtet. Und auch der Anschlag vom November 2002 auf ein Hotel in Mombasa zielte nicht pauschal auf Reisende, sondern speziell auf die jüdischen Gäste. Direkte Anschläge auf touristische Zentren wie in Bali, Djerba oder Casablanca zeigen allerdings, dass auch die Gesamtheit der westlichen Touristen als Sinnbild für Dekadenz und westlichen Lebensstil zur Zielscheibe des Terrors werden können.

Diese latent und bisweilen auch konkret über dem Reisegeschäft schwebende terroristische Bedrohung erleichtert das Handwerk derjenigen, die eine Verschärfung der Migrationskontrolle fordern. Zumindest wird, seit der »Terror gegen Touristen« (so Arte in einem eigenen Themenabend) in die vermeintlich friedliche Welt des Reisens eingedrungen ist, die Einführung nahezu jeder Maßnahme der Personenüberprüfung gerne mit dem Wunsch nach Reisesicherheit und -freiheit begründet. Der damit verbundene Diskurs hat einen neuen Dualismus konstruiert: den zwischen »friedfertigem Tourismus« und »migrierendem Terror«. Die Protagonisten der neuen Überwachungsapparate geben vor, auf die Unterscheidung dieser beiden Gruppen spezialisiert zu sein.


Vernetzte Sicherheit

Lange Zeit umstritten, genießen die Erfassung biometrischer Daten oder die Videoüberwachung öffentlicher Räume als Werkzeuge des »präventiven Eingriffs« inzwischen weitgehende Akzeptanz. Zur Wiederherstellung des ambivalenten Status von Freiheit und Sicherheit, der der touristischen Gesellschaft geradezu als Menschenrecht gilt, werden heute Überwachungsstrategien ausprobiert, die vor dem 11.9.2001 kaum denkbar waren: die Begleitung von Linienflügen durch bewaffnete Flugmarschalls; die Videoüberwachung von Cockpit und Innenraum der inner-US-amerikanischen Linienflüge durch das Bodenpersonal der Federal Aviation Administration (FAA); die biometrische Erfassung und Fingerabdrücke bei der Einreise in die USA an 115 Flug- und 14 Seehäfen; oder die Installation elektronischer Gesichtserkennungsanlagen am Zürcher Flughafen zur digitalen Erfassung aller Reisenden, die aus Ländern kommen, für die die Schweizer Statistik hohe Flüchtlingsraten angibt. Jüngst verblüffte die Tagesschau gar mit der Meldung, man habe in Deutschland den Einbau von Raketenabwehrsystemen in zivilen Flugzeugen in Erwägung gezogen.

Die EU-Kommission hat die europäischen Fluggesellschaften zur Weiterleitung einer Liste mit persönlichen Daten aller Passagiere auf Transatlantik-Flügen an die Einwanderungs- und Zollbehörden der USA verpflichtet – selbstverständlich vor Flugantritt. Dass dieses umstrittene Datenset PNR (Passenger Name Record Data) nur 34 statt der von den USA ursprünglich angeforderten 39 Einzelinformationen enthält und diese nun nur noch drei statt der angedachten 50 Jahre gespeichert werden dürfen, stellte der EU-Kommissar für Binnenmarkt und Zollfragen, Fritz Bolkestein, im Dezember 2003 als sinnvolle und mit den europäischen Datenschutzgesetzen kompatible Lösung vor.

Erst im Januar wurde durch die Bürgerrechtsorganisation EDRi (European Digital Rights) publik, dass Bolkestein dem US-»Heimatschutzbeauftragten« Tom Ridge darüber hinaus zugestanden hat, PNR als Testobjekt für CAPPS II nutzen zu dürfen. Hinter CAPPS II verbirgt sich das neue Personenüberprüfungssystem Computer Assisted Passenger Pre-Screening System, das eine schnelle (das touristische Geschäft nicht behindernde) Unterscheidung in ‚unauffällige’ Reisende und potenziell gefährliche (terroristische) Passagiere verspricht.


Frieden durch Tourismus?

Nach dem Motto »your colour – your identity« führt eine erweiterte Kombination von Personendaten zur Bewertung grün, gelb oder rot. Schätzungsweise Acht Prozent der Passagiere der täglich 26.000 inner-US-amerikanischen Flüge erhalten gemäß CAPPS II den Code »gelb«, was ein zusätzliches Screening rechtfertigt. Ein bis zwei Prozent erhalten das Label »rot« – woraufhin ihnen der Flug sofort untersagt wird. Das sind hochgerechnet immerhin mehr als 300 Fälle am Tag.

Dabei hat der Tourismus, glaubt man den Verlautbarungen der Branche, das Terrorproblem fest im Griff. Terroristischen Anschlägen und Naturkatastrophen wie Erdbeben, SARS und Vogelgrippe zum Trotz verkünden die Statistiken der Welttourismusorganisation, das Einbruchstief sei längst überwunden und die internationalen Ankünfte auf Werte über die von vor dem 11.9. gestiegen, selbst in den USA oder auf Bali.


Pick and mix

Ob allerdings mit verbesserten Sicherheitsvorkehrungen das Vertrauen der Reisenden zurückgewonnen werden kann, bleibt zweifelhaft. Die derzeit proklamierte »Erholung« der Branche jedenfalls ist solange nicht glaubwürdig, wie sie in ihrer Trendanalyse die aufsummierten Zahlen nicht differenziert, sondern auf den globalen Messwert »weltweite Ankünfte« reduziert. In der Summe konnte sich »der Tourismus« zwar tatsächlich erholen, weil das pick-and-mix Verhalten vieler Reisender und auch der anbietenden Branche das Reiseziel zweitrangig werden lässt. Der weltweite Markt nämlich bietet genügend Wahl zwischen preiswerten Ausweichangeboten der Kategorie Sonne-Sand-Exotik.

Für einzelne Länder und Regionen ergibt sich allerdings ein ganz anderes Bild. Derzeit hat das Auswärtige Amt für 28 Staaten eine Reisewarnung ausgesprochen. Solche offiziellen Gefahrenmeldungen können einzelne Destinationen empfindlich treffen, halten sie doch nicht nur Touristen von der Buchung ab, sondern berechtigen sie auch zum kostenlosen Rücktritt von einer bereits gebuchten Reise – ein beträchtliches Risiko für die Reiseunternehmen und -veranstalter. Aus diesen Gründen verbuchte Kenia extrem rückläufige Zahlen, nachdem Vermutungen laut geworden waren, Al-Qaida habe dort Verbindungen. Zeitgleich hatten die USA, Großbritannien und Deutschland Reisewarnungen für das von einer Reihe terroristischer Anschläge getroffene Land ausgesprochen. Die Folge: 60.000 Jobs im Niedriglohnsektor standen auf dem Spiel, vielen prekär Beschäftigten wurde der Lohn massiv gekürzt oder gleich gekündigt; und auch die Investoren sowie die Vertreter einer investitionsfreundlichen Tourismuspolitik des Staates murrten. Ihr Unmut über die »Behandlung«, die Kenia dafür büßen lasse, dass es antiamerikanische Kräfte in der Welt gebe, führte schließlich zu einem Kurswechsel: Die Reisewarnungen wurden zurückgenommen und die EU gewährte sechs Millionen Euro für die Wiederherstellung des angekratzten Images sowie eine zusätzliche Million für Werbekampagnen speziell in Großbritannien, dem wichtigsten Markt für die kenianischen Urlaubsparadiese.

Imagekampagnen allein reichten den Geldgebern allerdings nicht. Nun soll der Flughafen in Nairobi durch einen Weltbankkredit von 27 Millionen US-Dollar so ausgebaut werden, dass Ankunfts- und Abflugbetrieb künftig strikt getrennt bleiben. Diese auf den Transitbereich und damit die Passagiere bezogene bauliche Separationsmaßnahme gilt als Voraussetzung für die Vergabe des Zertifikats der Kategorie I durch die US-amerikanische Luftfahrtbehörde. Das Zertifikat wiederum ist für die Bewilligung einer Landeerlaubnis der Fluggesellschaft Kenya Airways für US-Flughäfen unerlässlich – und damit für den Marktzugang zu amerikanischen Safaritouristen.

Wenngleich die Verteilung des Rechtes auf Reisefreiheit durch Visa- und Einreisebestimmungen sowie Ausländergesetze schon immer entlang etablierter Machtverhältnisse verlief, beschleunigt die oben beschriebene Mythenbildung rund um die Reisesicherheit, dass sich die Kontrollregime verdichten. Die eingeschränkte Mobilität der Menschen aus vielen südlichen Reiseländern wird zur Voraussetzung der touristischen Mobilität – und umgekehrt.


Quellen der Gewalt

Ansonsten zielen die Anti-Terror-Kontrollmaßnahmen strikt auf die Unterscheidung von Migration und (Urlaubs-) Reise. Die dabei praktizierten Personenkontrollen geben vor, präventiv den Gewaltfall auszuschließen, werden aber selbst zur Quelle der Gewalt, indem sie rassistische Ordnungsmuster institutionalisieren. So sind vom alltäglichen Sammeln des Fingerabdrucks und der biometrischen Datenerfassung durch die US-Heimatschutzbehörde bislang Angehörige von 28 Staaten ausgenommen – darunter aller Länder der Europäischen Union (sofern sie sich unter 90 Tagen in den USA aufhalten). Latinos oder Afrikaner werden hingegen als potenzielle MigrantInnen oder Gewalttäter generalverdächtigt. Und das, obwohl etwa die Attentäter des 11. September aus Hamburg kamen und nicht aus Nairobi oder Bogota.
Verfeinerungen dieses Schemas sind im Interesse der Branche durchaus zugelassen: Während die Mobilität gerade für MigrantInnen zunehmend schwieriger wird, sind Reisende mit rein touristischen Motiven in der EU willkommen, selbst wenn sie aus ‚verdächtigen’ Staaten kommen. Nachdem das jüngst gegründete joint venture TUI China 85 Millionen Chinesen als potenzielle Käufer einer »Romantic Germany«-Tour für je 1.000 Euro die Woche prognostizierte, gab Deutschland als einziger europäischer Staat eine Zusatzbestimmung für chinesische Staatsangehörige heraus: Nicht nur auf persönliche Einladung hin, sondern auch als Reisegruppe erhalten chinesische BürgerInnen ein Touristenvisum für Deutschland. Im Zweifelsfall bestimmt die Logik des Kapitals, wer wann wohin reisen darf.

Gekürzte Fassung – der Artikel ist in voller Länge erschienen in: iz3w 276 April/Mai 2004, S.10-13.




Emotionales Gepäck

Der alljährliche Urlaub in die zweite Heimat

von Kemal Kurt

Seit Ende der 50er Jahre hat Deutschland GastarbeiterInnen aus (süd)europäischen Ländern angeworben. Heute leben mehrere Millionen Menschen nicht-deutscher Herkunft in der BRD. Der Urlaub in der »alten Heimat« ist für viele eine wesentliche Möglichkeit, um familiäre Bindungen aufrecht zu erhalten. Für die hier beschriebenen Menschen steht der Besuch von Verwandten und Bekannten im Zentrum ihrer Fahrt. In einer zunehmend internationalisierten Gesellschaft stellt diese Form des Reisens weltweit einen wichtigen Bereich des Tourismus dar.

Alle Jahre wieder setzt zu Beginn der Schulferien eine wahre Völkerwanderung ein. Sie führt in Autos, per Flugzeug, mit der Bahn und auf Schiffen von Norden nach Süden und von West nach Ost. Schon Monate vorher beginnen die Vorbereitungen auf »die schönsten Wochen des Jahres«. Autos werden angeschafft, vorhandene auf Hochtouren gebracht, Flüge beziehungsweise Schiffspassagen reserviert und Geschenke besorgt, so dass die Koffer sich kaum schließen lassen. Denn nach einem Jahr der Trennung mit leeren Händen ankommen – das geht nicht. Die indirekte Ausfuhr beschert den Kaufhäusern und der Elektroindustrie ein zweites Weihnachtsgeschäft mitten im flauen Sommer. Ein Urlaub in der Heimat ist eine zeit- und kostenaufwendige Sache – mehr Stress als Erholung.

Allein der Weg hat es in sich: überfüllte Flughäfen, endlose Warteschlangen, schleppende Gepäckausgabe, Zoll- und Passkontrollen. Früher ging es mit starrem Blick nach vorn und dem berühmten Stein auf dem Gaspedal durch einen freundlichen, familiär vertrauten Balkan, eingereiht in die Blechlawine auf dem Autoput, um sich dann an dem aus allen Nähten platzenden türkischen Grenzübergang Kapikule als Willkommensgruß besonders gründlich durchsuchen zu lassen. Diese Zeiten sind vorbei. Heute fahren auf der Autoput serbische Panzer, und die Halbgötter in Uniform in Kapikule zählen aus Langeweile Fliegenbeine. Die Alternativroute über Rumänien hat schnell auch dem Hartgesottensten unter den Autofahrern seine Grenzen gezeigt. Ein Narr, der denkt, er habe es geschafft, wenn er sämtliche Transitvisa in der Tasche hat. Schlechte Straßen, mangelnde Tankstellen und Übernachtungsmöglichkeiten und immer wieder die Staus an den Grenzen sind weitere Prüfsteine. Drei Tage Wartezeit an der rumänisch-bulgarischen Grenze in der Hitze mit Kind und Kegel sind kein Pappenstiel. Auch die teure Möglichkeit, sich mit dem Schiff von Italien aus übersetzen zu lassen, hat wegen mangelnder Kapazitäten und schlechter Organisation ihre Tücken. Griechische Reeder haben zu diesem Zweck zum Ausschlachten freigegebene Schiffe wieder in Betrieb genommen.

Wer die beschwerliche Hinreise hinter sich bringt, darf noch lange nicht aufatmen. Nicht etwa, dass diese Reisenden Angst vor PKK-Anschlägen hätten! Sie sind sich bewusst, dass Bomben auch in vielen westlichen Ländern hochgehen und Istanbul eine niedrigere Kriminalitätsrate aufweist als die meisten europäischen Metropolen. Auch gilt ihre Expedition ja weder der Sonne und dem Strand noch den Naturschönheiten des Landes. Bei der unruhigen politischen Situation in der Türkei könnten sie diese fast allein für sich haben, denn die so empfindlichen deutschen Touristen lassen sich von den Branchenriesen zu gut abgeschotteten Ferienkomplexen führen. Trotz der steigenden Zahlen der Israelis, die die Spielcasinos in Antalya füllen, und der sonnentreuen Briten, bei denen es auf eine Bombe mehr oder weniger nicht ankommt, bleiben genug Betten im Supersonderangebot für die neudeutschen Touristen, die ihre alttürkische Heimat heimsuchen.

Nein, ihr Interesse gilt allein den Leuten, sprich: der »Familie«, und die umfasst mehr als nur Vater und Mutter. Besuche, Gegenbesuche, Einladungen und Festgelage sind an der Tagesordnung – bis zur Erschöpfung. Verwandte, Bekannte und Nachbarn kommen und gehen. Nach einem einsamen Winter ist das Balsam für die Seele, aber für jemanden wie mich, der es lernen musste, mit ganz wenig Umgang auszukommen und Ruhe und Abgeschiedenheit zu schätzen, kann der Besucherverkehr leicht in Qual ausarten. Jedes Jahr, wenn ich nach zwei, drei Wochen meine ungelesenen Bücher wieder in den Koffer einpacke, nehme ich mir vor, im nächsten Sommer nach Wales oder nach Finnland zu fahren. Und jedes Jahr, spätestens bei Jahreswechsel, packt mich die Sehnsucht nach den Verwandten, Bekannten und Nachbarn und Nachbarsnachbarn. Der deutsche Winter ist lang. Und der ‚Heimaturlaub’ mit seinen abgezählten Tagen vergeht schnell. Kaum ist der letzte Willkommensgruß abgeklungen, ist es an der Zeit, den ersten Abschiedsbesuch zu erstatten. Wieder ist man zu nichts gekommen, zu Erholung am allerwenigsten. Wieder sind die Koffer prall gefüllt – mit Gegengeschenken.

Vor etlichen Jahren habe ich die Geschichte von Selim geschrieben, der nach seinem Urlaub in der Türkei mit solchen prallgefüllten Koffern an der deutschen Grenze ankommt. Die Unruhe, die er auf der Fahrt gespürt hat und seine irrationale Angst vor den Kontrollen erweisen sich als begründet: Er muss aussteigen und wird mit seinem Gepäck auf eine Bühne geführt. Dort muss er vor einem jubelnden Publikum und den laufenden Fernsehkameras seine Mitbringsel auspacken. Meerwasser kommt da heraus, Thymiangeruch aus den Bergen, Tränen seiner zurückgebliebenen Frau, der geliebte Feigenbaum aus dem Garten, die Erinnerung an die letzte Nacht und der schwere Stein des Zweifels, der ihn auf seinen Reisen zwischen den Welten begleitet – lauter emotionales Gepäck, das er auf dem Buckel trägt. Wer wüsste nicht, dass das am schwersten wiegt!

Diese jährlichen Besuche haben auch ihr Gutes. Sie zeigen, wie gut es einem doch geht. Was für ein Glück, dass man nicht mit dieser hohen Inflationsrate, mit der Jahr für Jahr abnehmenden Kaufkraft des Geldes und einem sinkenden Reallohn, mit gesellschaftlichen Unruhen und behördlicher Willkür, mit dem Chaos und der Unordnung, mit nervenaufreibenden Alltagssorgen und einer unsicheren Zukunft zu kämpfen hat. Für immer in die Türkei zurück? Nie und nimmer! Für immer in Deutschland leben? Niemals! Da, zwischen Deutschland und der Türkei, genau an der Grenze beider Länder, gibt es ein Land: das Niemalsland. Dort wohnen wir – zusammen mit Kapitän Hook, Tinker Bell und Peter Pan. Besucht uns mal!

Quelle: aus der Tageszeitung, taz vom 09.07.94




Die griechische Küche ist berühmt, aber wer steht eigentlich in der griechischen Küche?

von Ramona Lenz

Die Reisebrache zeichnet ein sehr traditionelles Bild der GriechInnen und auch viele westeuropäische Reisende haben eine ziemlich klare Vorstellung von ihren südeuropäischen NachbarInnen: Das Leben dort ist ursprünglicher und unverfälschter als »im Westen«, die Familie hält zusammen und Fremde werden gastfreundlich empfangen - zumindest für ländlich geprägte, touristisch noch wenig erschlossene Regionen soll das gelten. Für die vielen MigrantInnen, die in Griechenland im Tourismus arbeiten oder dort leben, ist eigentlich kein Platz in diesem Griechenlandklischee. Wer in einem griechischen Restaurant einkehrt, erwartet typischgriechisches Essen. Die Vorstellung, von GriechInnen bekocht und bedient zu werden, gehört genauso dazu wie der obligatorische Ouzo zum Abschied. Dass in der Küche oftmals keine griechischen Familienmitglieder, sondern MigrantInnen arbeiten, wird dabei kaum wahrgenommen. Sie passen nicht ins Bild. über ihre oft prekären Arbeits- und Lebensbedingungen ist wenig bekannt.


Gesprächsnotizen aus Kreta im Frühjahr 2004:

Manolis ist ehemaliger Besitzer zweier Tavernen und einer Bar, die stark von TouristInnen frequentiert wurden. Er hat irgendwann alles verkauft, weil er gelangweilt war von den vielen TouristInnen, die in Kreta alles besser fanden als bei sich zu Hause. Die Frage, ob er auch MigrantInnen beschäftigt habe, verneint er zunächst. TouristInnen, insbesondere griechische TouristInnen, wollen ihm zufolge nicht von MigrantInnen bedient werden. Deshalb habe er im Service ausschließlich Griechen beschäftigt. Auf Nachfrage fällt ihm dann aber ein, dass die Spülkräfte rumänischer Herkunft waren. Spültätigkeiten scheinen in Kreta fast ausschließlich von migrantischen Frauen ausgeübt zu werden.

Yiannis, der stellvertretende Geschäftsführer eines Restaurants, arbeitet gerne mit migranti-schen Arbeitskräften. »They are more committed to the job«, sagt er. Griechische Arbeitskräfte seien weniger bereit, hart zu arbeiten. MigrantInnen verrichteten zwar meist Tätigkeiten im Hintergrund, würden aber zunehmend auch im Service eingesetzt, da ihre Sprachkenntnisse sich im Lauf der Zeit verbessert hätten.

Alex, ein Albaner, der vor über zehn Jahren zu Fuß über die Berge nach Griechenland kam, hat es Dank seiner Sprachkenntnisse geschafft, sich zum Kellner hochzuarbeiten. Angefangen hat er als Hilfskellner. Er arbeitete zehn bis zwölf Stunden täglich an sieben Tagen in der Woche. Pro Tag verdiente er neun Euro. Eingestellt wurde er, weil er einen Griechen gefunden hatte, der sich bei seinem Chef für ihn verwendete. In der Anfangszeit war es ihm untersagt, mit Gästen zu reden. Er war lediglich dafür zuständig, das Geschirr abzuräumen, wenn die Gäste gegangen waren, und zu spülen. Nachdem er sich jedoch ein wenig Englischkenntnisse draufgeschafft und Griechisch gelernt hatte, wurde er auch als Kellner eingesetzt.Inzwischen spricht er sehr gut Englisch und fließend Griechisch. Das gibt ihm die Möglichkeit, seine Herkunft je nach Erwartungshaltung der Gäste zu variieren. Fragen ihn kretische Gäste, woher sein Akzent kommt, sagt er, er komme aus Nordgriechenland. Sprechen ihn nordgriechische Gäste auf seinen Akzent an, behauptet er, er sei Kreter. Sage er die Wahrheit, seien viele Gäste irritiert. Sie wollten nicht von einem Albaner bedient werden. Weiblichen TouristInnen gegenüber variiert er seine Herkunft besonders flexibel. Meist behauptet er, er sei Kreter. Da er aber auch ein paar Brocken Italienisch spricht, erzählt er manchen Touristinnen, er sei halb Grieche und halb Italiener. Das komme bei einigen Frauen besonders gut an.

Dass das Interesse am Kontakt mit »echten« Kretern, Griechen oder Südländern unter Touris-tInnen eine große Rolle spielt, habe ich meinem Hotel erfahren, in dem vor allem Backpacker abgestiegen sind. Es gab dort einen unausgeschriebenen Wettkampf darum, wer dichter dran ist an den »locals«. Ich wurde als Konkurrentin allerdings gar nicht erst in Betracht gezogen, nachdem man festgestellt hatte, dass ich Wasser in der Flasche kaufe und nicht - wie angeblich die »locals« - aus dem Wasserhahn trinke. Da ich zum ersten Mal und auch erst seit wenigen Tagen in Kreta war, war ich das ideale Opfer für Insidertipps.

Jens war bereits mehrfach und zu diesem Zeitpunkt schon seit einigen Monaten auf der Insel und total begeistert von »Land und Leuten«. Er erklärte mir, was in nahezu jedem deutsch-sprachigen Reiseführer über Kreta zu lesen ist: »Die Kreter sind ein eigenes Völkchen. Sie sind sehr stolz und wollen nichts mit Athen zu tun haben.« Außerdem brüstete er sich damit, die besten Kneipen zu kennen. Das waren für ihn die, in denen es den billigsten Raki gab und keine TouristInnen. Er selber wollte auf keinen Fall als Tourist betrachtet werden und freute sich darüber, wie einfach ein langfristiger Aufenthalt in Kreta im Zuge des Schengener Abkommens für ihn geworden ist: »Man holt sich nur eine Steuernummer und das war's.«

Wenn ich mal richtig traditionelle kretische Küche haben wolle, könne er mir was empfehlen. Unter traditionell verstand er »nicht so was wie Güros, sondern das mit den vielen Tellern«. Er versuchte Eindruck damit zu schinden, dass er mit vielen KreterInnen befreundet ist. Besonders stolz schien er darauf zu sein, dass seine Freundin eine echte »local« ist. Ich fragte ihn, ob unter seinen vielen Bekannten denn auch AlbanerInnen seien, die in Kreta doch sehr präsent sind. »Die Griechen mögen die Albaner nicht«, antwortete er darauf. Zum Beispiel die Kinder, die immer in den Restaurants bettelten. Die verdienten damit mehr als ein ausgebildeter Lehrer in Griechenland. Er verstehe das nicht. Hier könne jeder Arbeit bekommen, der wolle. Das sei jetzt nicht rassistisch gemeint wie in Deutschland. Hier könne wirklich jeder Arbeit finden. Dass er kurz zuvor noch erzählt hatte, wie er selbst in den Wintermonaten, wenn kaum TouristInnen auf der Insel sind, für einige Zeit keinen Job finden konnte und daher auf die Unterstützung anderer angewiesen war, war in diesem Zusammenhang offenbar nicht mehr relevant.

Wenngleich Alex offiziell in die Kategorie Migrant fällt, betrachtet er sich nach zehn Jahren in Kreta kaum mehr als solcher, und verkauft sich auch der Erwartungshaltung seines touristischen Gegenübers entsprechend meist als »local«. Und Jens möchte auf keinen Fall als Tourist wahrgenommen werden und tut einiges dafür, wie die »locals« zu leben. Herkömmliche Mobilitätskategorien stimmen hier also offenbar nicht mit Mobilitätspraktiken überein. Dennoch werden offizielle Aufenthaltsstati wirksam und beschränken oder eröffnen Handlungsspielräume. Allerdings nicht einfach im Sinne maximalen Handlungsspielraumes für einen wie Jens und minimalen Handlungsspielraums für einen wie Alex. Hier kommen noch andere Faktoren wie die Bereitschaft zum Erwerb von Sprachkenntnissen, Flexibilität und Anpassungsfähigkeit zum Tragen - Qualifikationen, die auf flexibilisierten Arbeitsmärkten wie dem saisonabhängigen Tourismussektor stark nachgefragt werden. Insbesondere illegalisierte MigrantInnen bringen diese Qualifikationen aufgrund prekärer Arbeits- und Aufenthaltsverhätnisse mit.

Vor dem Hintergrund dieser Mobilitätsprozesse stellt sich die Frage nach der Rolle des »Ursprünglichen« und »Unverfälschten« neu, das die Reisebranche so gerne vermarktet und das viele westliche TouristInnen noch immer in Griechenland zu finden hoffen. Das nicht nur »konomische Verhältnis zwischen DienstleisterInnen, Reisenden und Bereisten ist daraufhin zu befragen, wie Authentifizierungsprozesse ablaufen: Wer hat die Macht zu definieren, was als »authentisch« und »ursprünglich« gelten darf, und wer nicht? Die in den Gesprächsnotizen aus Kreta zum Ausdruck kommenden verschiedenen Bezugnahmen auf das »Authentische« zeigen einerseits, dass es für MigrantInnen nicht leicht ist, Arbeit im besser bezahlten Frontstage des Tourismussektors zu finden, da sie das »Authentische«, »Traditionelle« und »originär Griechische« nicht mitbringen. Andererseits wird das Interesse von TouristInnen am »Authentischen« aber auch von MigrantInnen genutzt und strategisch bedient, wie das Beispiel von Alex verdeutlicht. Der deutsche Aussteiger Jens auf der Suche nach dem »Traditionellen«, »Anderen« und »Besseren« in Kreta ist hingegen nicht bereit, sich irritieren zu lassen von anderen zeitweilig Anwesenden, weder von TouristInnen noch von MigrantInnen. Seine starke Identifizierung mit den und Überhöhung der »locals« ist ihm Legitimationsgrundlage für eine rassistische Haltung, die er in Deutschland so vermutlich nicht vertreten würde. Sein exotisierender und archaisierender Blick auf »die griechischen Anderen« geht einher mit ei-nem fremdenfeindlichen Blick auf »die anderen Anderen«. Es wird hier deutlich, wie sich weiße westliche Subjektivität infolge von Dekolonialisierungs- und Globalisierungsprozessen in einer differenzierteren rassistischen Konstruktion der »Anderen« artikuliert.

Schließlich tauchen hier Fragen auf wie: Wem nutzt es, wenn sich trotz der offiziellen EU-Rhetorik, illegale Migration unterbinden zu wollen, immer wieder neue Praktiken der Mobilität entwickeln, die sich den Steuerungsversuchen scheinbar entziehen? Wem nutzt es, wenn es Formen des Tourismus gibt, die nicht mit maximaler Devisenzufuhr verbunden sind, sondern das Auskommen mit einem low budget konstitutiver Bestandteil der Reise ist?

Empirisch lassen sich die Mobilitätsformen Tourismus und Migration immer weniger klar in Reinform finden. Man kann vielmehr beobachten, dass touristische und migrantische Prakti-ken sich gegenseitig ergänzen und bedingen, sich teilweise gar in einander auflösen. Einige Beispiele: Ehemalige TouristInnen werden zunehmend im Mittelmeerraum sesshaft; ehemalige GastarbeiterInnen kehren zum Urlaub in ihre Herkunftsländer zurück; die Einreise mit einem Touristenvisum ist eine Strategie von ArbeitsmigrantInnen, um in den Schengenraum zu gelangen; die Ausreise aus dem Schengenraum mit einem Touristenvisum ist eine Strategie von illegalisierten MigrantInnen, um kein Wiedereinreiseverbot in ihren Pass gestempelt zu bekommen; MigrantInnen und TouristInnen nutzen die gleiche Infrastruktur; Hotels werden in der Nebensaison zu Flüchtlingslagern etc.

Gleichzeitig wird versucht, Mobilitätspraktiken kontrollierbar zu machen, indem bestimmte Aufenthaltsstati vergeben oder verweigert werden. Das Wechselspiel zwischen empirischer Grenzverwischung einerseits und behördlicher Kategorisierung andererseits ist spannend: Welche Strategien und Taktiken werden entwickelt, um die europäische Mobilitätsordnung festzuschreiben bzw. sie zu unterlaufen? Wie bedingen sich diese beiden Prozesse gegenseitig? Wem nutzt und wem schadet es, dass Mobilitätskategorien nicht mit Mobilitätspraktiken übereinstimmen?

Möglicherweise erwerben gerade diejenigen mobilen AkteurInnen, die sich auf den ersten Blick am ehesten einer Zurichtung durch ein Mobilitätsregime entziehen, wie individuell rei-sende RucksacktouristInnen (vgl. hierzu Jana Binder in taz Nr. 7326 vom 3.4.2004, Seite 15) und illegalisierte MigrantInnen, durch ihre scheinbar widerständigen Mobilitätspraktiken ein Kapital, das auf den neoliberalen Arbeitsmärkten stark nachgefragt ist: Flexibilität, Anpassungsfähigkeit, interkulturelle Kompetenzen usw. Es bleibt also zu fragen und zu untersuchen, wie durch Tourismus und Migration scheinbar widerständige Mobilitätspraktiken in Herrschaftsstrukturen integriert werden.





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