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Arbeitsbedingungen in der Urlaubswelt
von Christopher Vogel
Urlaub in Ländern der Dritten Welt ist auch für den kleinen Geldbeutel erschwinglich. Viele Regierungen in den ärmeren Ländern erhoffen sich Devisen und Arbeitsplätze von den reichen Gästen aus den Industriestaaten und fördern deshalb den Ausbau von touristischen Attraktionen in ihren Ländern. Doch werden die Erwartungen auf das große Geld selten erfüllt.
»Du bist wirklich noch nicht lange hier«, meint Ester De la Cruz lachend. »Niemand erhält hier einen Arbeitsvertrag. Eine Kündigungsfrist gibt es auch nicht. Wenn die mich nicht mehr wollen, können sie mich heute noch nach Hause schicken. Und wenn ich nicht mehr will, kann ich gehen. Das werde ich auch tun, sobald ich eine bessere Arbeit gefunden habe.« Ester De la Cruz ist 28 Jahre alt und stammt aus Santo Domingo. Sie arbeitet als Tischzuweiserin im Fünf-Sterne-Hotel Melia in Punta Cana an der Ostküste der Dominikanischen Republik. Die 1.500 Betten umfassende Bungalowanlage gehört zur spanischen Hotelkette Sol Melia. 668 Angestellte sorgen rund um die Uhr für das Wohl der Feriengäste, die sich den vergänglichen Luxus zwischen 110 und 235 US Dollar pro Nacht mit Frühstück kosten lassen. Mehr also, als die umgerechnet 200 DM, die Ester De la Cruz in einem ganzen Monat verdient.
Ein Beispiel unter vielen. Der Luxus, den man als EuropäerIn in Ländern der Dritten Welt genießen kann, wird erst durch das niedrige Lohnniveau und die schlechten Arbeitsbedingungen möglich. Dabei prallen zwei Welten aufeinander: TouristInnen wollen in Ihrem Urlaub frei von Verpflichtungen und Zwängen sein, wollen einfach mal die Seele baumeln lassen. Dazu gehört natürlich, sich um nichts kümmern zu müssen. Gerade in Ländern der Dritten Welt geht das besonders gut. Denn aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit und den ärmlichen Lebensbedingungen eines großen Teils der Bevölkerung kann eine billige Rundumversorgung angeboten werden.
Ungleiche Jobverteilung
Auffällig dabei ist, dass Tätigkeiten wie Bedienen, Gepäcktragen und Putzdienste von Einheimischen ausgeführt werden, während die besseren Jobs im Management und anderen Leitungsfunktionen mit Fachkräften aus Deutschland, Großbritannien etc. besetzt sind. Dieses hierarchische Dienstverhältnis erinnert an die Zeiten des Kolonialismus, als sich EuropäerInnen in Sänften durch die Gegend tragen ließen. Die Menschen in den eroberten Gebieten wurden zur Arbeit gezwungen, um den neuen Herren ein sorgenfreies Leben zu ermöglichen und den Reichtum in ihrer Heimat zu mehren.
Die Aufstiegschancen sind für Einheimische minimal. Ein farbiger Boy, der einem das Gepäck trägt, ist (leider) eine Selbstverständlichkeit. Gleichzeitig besteht seitens der großen Tourismusfirmen kein Interesse an einer Ausbildung von einheimischen Kräften für höhere Positionen. Souvenirs verkaufen, in einem Restaurant bedienen oder Zimmer sauber machen erfordert keine besonderen Fähigkeiten; oft werden hier Kinder eingesetzt. Nach vorsichtigen Schätzungen der Weltarbeitsorganisation (ILO) arbeiten weltweit 13-18 Millionen Kinder im Tourismusgeschäft. Die kann man noch schlechter bezahlen und unter noch ungesicherteren Bedingungen schuften lassen, als es sowieso schon der Fall ist. Das hält viele Kinder davon ab, regelmäßig zur Schule zu gehen oder sich durch eine Ausbildung für einen besseren Beruf zu qualifizieren (siehe »Reisende Rucksäcke« auf Seite 35). Meist sind weder Kinder noch Erwachsene mangels Alternative in der Lage, eine Arbeit im Tourismus abzulehnen. Andererseits gibt es natürlich auch schlimmere Arbeiten, wie z.B. extrem gesundheitsschädigende Tätigkeiten in Lederfabriken.
Zweifelhafter Nutzen
Die Regierungen in den Reiseländern versprechen sich von der Ankurbelung des Tourismus positive Auswirkungen für die lokale Wirtschaft. Doch gerade die Tourismusbranche ist besonders krisenanfällig.
So können ein sich verschlechternder Wechselkurs oder touristische Moden – ein Reiseziel ist einfach nicht mehr »angesagt« – eine tourismusorientierte Wirtschaft in den Ruin treiben. Durch Umweltkatastrophen wie Überschwemmungen oder Wirbelstürme werden natürlich auch die touristischen Einrichtungen bedroht – meist ist für deren Wiederherrichtung allerdings schneller und mehr Geld vorhanden, als für den Rest des Landes.
Als besonders medienwirksam haben auch militante oppositionelle Gruppen den Tourismus für ihre Ziele entdeckt. Sie nutzen die Abhängigkeit eines Landes von den Deviseneinnahmen aus der Tourismuswirtschaft, um verhasste Regierungen unter Druck zu setzen. UrlauberInnen werden so zum Spielball in der Innenpolitik. Als z.B. 1997 in Ägypten Touristen angegriffen wurden und es zu Toten und Verletzten vor den Sehenswürdigkeiten des Landes kam, waren die Folgen für die dortige Tourismuswirtschaft verheerend. Bereits gebuchte Reisen wurden massenhaft storniert und zwei Jahre lang war Ägypten als Reiseziel buchstäblich abgemeldet.
Doch lassen nicht nur diese eher außergewöhnlichen Störfälle den volkswirtschaftlichen Nutzen des Tourismus zweifelhaft erscheinen. Der erwartete Geldsegen, den die TouristInnen mitbringen sollen, ist oft keiner. Weil diese nämlich im Urlaub auf die von zu Hause gewohnten Konsumgüter nicht verzichten wollen, muss ein Teil der erwirtschafteten Dollars für den Import von Waren ausgegeben werden, die es in diesen Ländern sonst nicht gibt. Das reicht vom Frühstücksgeschirr bis zu Straßen, die nur für die Gäste gebaut werden – mit Maschinen, die aus dem Westen kommen.
So bleibt der Löwenanteil der Urlaubsausgaben in den Herkunftsländern der TouristInnen (siehe Grafik). Gerade bei Pauschalreisen dürfte das Verhältnis der Ausgaben noch ungünstiger für die Reiseländer aussehen. Besonders bei den so genannten »All inclusive« – Angeboten (siehe auch Artikel auf Seite 51) profitieren fast ausschließlich die hiesigen Reiseveranstalter, denn die Kosten für Hotel, Essen, Getränke und Sportangebote werden bereits im Reisebüro bezahlt. Einheimische dienen hier nur noch als exotische Kulisse.
Quelle: FernWeh. Die Jugendbroschüre zu Tourismus, iz3w, 2000. www.iz3w.org
Ein angenehmer Aufenthalt...
Kellner in einem Touristenrestaurant in Goa
von Christian Stock
Kumar ist schrecklich müde. »Kaum geschlafen heute nacht« entschuldigt er seine etwas ungeschickte Art, den Tee zu servieren. Wenn die Touristen ab 8 Uhr morgens zum Frühstück kommen, hat Kumar schon zwei Arbeitsstunden hinter sich. Aufräumen, den Boden fegen, Milch und Lebensmittel in den Kühlschrank räumen, Wasser aufsetzen - all das muß erledigt sein, bevor die ersten Gäste kommen. Das frühe Aufstehen allein wäre nicht schlimm, meint Kumar, aber er kommt ja erst weit nach Mitternacht ins Bett, wenn die letzten Nachtschwärmer gegangen sind. Seine Bettstatt ist auch nicht gerade bequem, fügt er hinzu. Mit seinen drei Kollegen schiebt er nach getaner Arbeit die Restauranttische unter dem Palmwedeldach zusammen und legt sich darauf zur Ruhe, eingewickelt in eine dünne Decke.
Hier in Kovalam, einem bei den Rucksacktouristen beliebten Strandort in Südindien, gibt es rund 100 der kleinen Restaurants, in denen die Freaks morgens Müsli essen und abends gegrillten Fisch. Seit drei Jahren arbeitet Kumar schon als ›Restaurantmanager‹, wie er es nennt. Kumar hat sich aufgrund seiner Erfahrung schon etwas hochgedient und ist, wenn der Restaurantbesitzer nicht selbst da ist, der Chef der kleinen Mannschaft. Als er zum ersten Mal aus seinem rund 100 km entfernten Heimatort nach Kovalam kam, mußte er als Küchenhelfer anfangen. »Das war eine harte Arbeit«, erinnert er sich, »dauernd im Ruß der Kerosinkocher, ohne Tageslicht und immer im Streß«, weil es kaum vernünftige Küchengeräte gab, die ihm z.B. das Gemüseschälen erleichtert hätten.
Wieso arbeitet er eigentlich in Kovalam? Etwas verlegen meint Kumar, es sei ihm nicht viel anderes übrig geblieben. Er hat zwar einen Abschluß als Buchhalter und sogar einen Bachelor-Titel im Fach Ökonomie, aber das ist angesichts der hohen Arbeitslosigkeit gerade unter den qualifizierten Jüngeren nicht viel wert. Als er von einem Bekannten hörte, ein Restaurantbetreiber suche noch eine Arbeitskraft, ist er kurzentschlossen mit nach Kovalam gefahren. Im zweiten Jahr konnte er wegen seiner guten Englischkenntnisse schon als Kellner arbeiten. Deshalb verdient er mittlerweile ganz gut, meint er, wenngleich auch nur während der drei Saisonmonate. Dann sind es rund 4.000 Rupien im Monat, knapp 200 DM. In der Vor- und Nachsaison bleiben nur 2.000 Rupien, und während der Monsunzeit, wenn kaum Touristen da sind, geht er meist nach Hause, weil es nichts zu verdienen gibt. Das ist der Nachteil, wenn man keinen Festlohn hat, sondern nach dem Umsatz bezahlt wird.
Ist Kumar nicht sauer auf den Restaurantbesitzer, weil der sein ganzes unternehmerisches Risiko auf die Angestellten überträgt? »Nein, an seiner Stelle möchte ich nicht sein«, sagt er, »neulich kam mal wieder eine Polizeistreife vorbei und hat sich ihr ›Trinkgeld‹ geholt. Mein Chef ist ganz bleich geworden«. Kaum eines der kleinen Strandrestaurants hat eine offizielle Genehmigung und zahlt Steuern. Außerdem wird illegal Bier verkauft. Das wird nur toleriert, wenn man an die lokalen Repräsentanten der Staatsmacht sozusagen ›informelle‹ Steuern abführt. Als vor zwei Jahren Polizeitruppen kamen, die auf Veranlassung der Landesregierung kurzerhand eine ganze Reihe der illegalen Strandbuden abrissen, ist vielen Restaurantbetreibern der Schreck in die Glieder gefahren. Auch wenn die Investitionen in die Restaurants für europäische Verhältnisse mit umgerechnet zehn- bis zwanzigtausend Mark nicht sehr hoch sind, will den Verlust dieser Summe niemand riskieren.
Welche Zukunftspläne hat Kumar? »Eigentlich hätte ich lieber einen regelmäßigen Job in meinem Heimatort, wo meine Familie und meine Freunde wohnen. Hier kenne ich nur Leute, die in derselben Situation sind wie ich und auf bessere Zeiten hoffen.« 26 Jahre ist er jetzt alt, seine Eltern werden bald eine Heirat verlangen oder für ihn arrangieren. Wenn er dann eine Familie hat, muß er wohl oder übel die monatelange Abwesenheit während der Touristensaison in Kauf nehmen. Seine Familie nach Kovalam mitnehmen will er nicht. »Viel zu teuer zum Leben hier«, und außerdem hat der Ort in ganz Südindien einen schlechten Ruf wegen Sex und Drogen, den er seiner zukünftigen Familie nicht zumuten möchte.
Trotz dieser Nachteile ist Kumar halbwegs zufrieden mit seiner Lage, weil sein Chef nicht auf ihn verzichten kann und er so auch ohne schriftlichen Vertrag ein festes Arbeitsverhältnis hat. Mit den vielen fliegenden Händlern, die am Strand versuchen, Sonnenbrillen, Kokosöl, bunte Tücher und vieles mehr an die Touristen zu bringen, möchte er nicht tauschen. »Die verdienen noch viel, viel weniger als ich, und außerdem hassen die Touristen sie, weil sie sich beim Sonnenbaden gestört fühlen«. Zudem vertreibt sie die Tourism Police immer wieder vom Strand. Die meisten von ihnen sprechen kaum Englisch und gehören der Gruppe der Kastenlosen an, die auch in der angeblich so westlichen Enklave Kovalam immer noch benachteiligt werden. »Die haben keine Chance, einen besseren Job als Kellner oder Roomboy zu bekommen«, urteilt Kumar. Weil der Fischfang in Küstennähe aufgrund der Überfischung nicht mehr viel hergibt, müssen viele der ehemaligen Fischer jetzt ihren Lebensunterhalt zu Tagelöhnerbedingungen als Kleinsthändler verdienen.
Dieses Jahr haben die Kleinsthändler eine Art ›Streik‹ begonnen, weil ihre Bretterbuden am Strand mal wieder abgeräumt worden waren. Zusammen mit ihren Frauen, von denen viele selbst als ›fruit ladies‹ (Obsthändlerinnen) für die Touristen am Strand arbeiten, haben sie Transparente aufgehängt und sich monatelang in Strandnähe versammelt. Aber weder die Behörden noch die Touristen nahmen groß Notiz von ihnen. Nur die örtliche Sektion der kommunistischen Partei unterstützte sie, konnte allerdings auch nicht viel ausrichten. Kumar erlaubt den Kleinhändlern gelegentlich, die Touristen im Restaurant anzusprechen, obwohl sein Chef das gar nicht gerne sieht. Aber eigentlich ist auch Kumar zu sehr mit seinem eigenen Schicksal beschäftigt, als daß er sich um die Probleme anderer kümmern möchte. Er träumt zum Beispiel davon, einmal nach Europa zu reisen, in Städte wie Berlin, von denen er schon soviel gehört hat. Mit vielen Restaurantbesuchern hat Kumar ein gutes Verhältnis, er sieht sie als seine »Freunde« an. Aber eingeladen hat ihn noch niemand nach Deutschland oder in ein anderes Land, und mit seinem Gehalt kann er sich den Flug nie im Leben leisten. »Vielleicht ist es gut so«, meint er, »zuletzt komme ich zurück aus dem reichen Europa und halte es nicht mehr aus hier in Indien«. Nur seine gelegentlichen Briefe könnten die europäischen »Freunde« beantworten, findet er. Schließlich sorgt er dafür, daß sie einen angenehmen und billigen Aufenthalt in Kovalam haben.
Quelle: Stock, C. (Hrsg.): Trouble in Paradise. Tourismus in die Dritte Welt, iz3w, 1997.
¿Reisen normal?
Arbeiten in der Reisebranche...
...das hört sich nach Traumjob an
»Urlaub zum Beruf machen!« so lautet das verlockende Motto der Touristikschulen. Viele, die sich für eine touristische Ausbildung entscheiden, hoffen, die »sonnigen« Versprechungen aus den Reiseprospekten ein Stück weit zum Berufsalltag machen zu können. Dazu gehört die Erwartung, Sprachen zu lernen und in der Welt herumzukommen. Bernadette Mayer denkt im Rückblick auf ihre Ausbildung als Reiseverkehrskauffrau, dass in der Tourismusbranche eine durch und durch auf das Verkaufen ausgerichtete Sprache das Sagen hat. Und die lässt alles unberücksichtigt, was sich nicht verkaufen lässt.
FernWeh: Mit welchen Erwartungen hast du deine Ausbildung als Reiseverkehrskauffrau begonnen?
Bernadette Mayer: Ich dachte, dass ich viel Interessantes über andere Länder erfahren werde, die mich persönlich interessieren. Ich wollte Einblick bekommen, mehr von anderen Kulturen erfahren. Da ich selber sehr gerne reise, dachte ich, die Ausbildung sei interessant.
F: Wurden diese Erwartungen dann auch erfüllt?
B: Es hat sich herausgestellt, dass es in diesem Beruf sehr viel um’s Geld geht. Es ist ein Verkaufsjob, da geht es weniger um die Länder an sich. In der Ausbildung drehte sich alles um’s Rechnen, z.B. um die Reisepreisberechnung. Natürlich wurden auch Länder durchgenommen, aber nur solche, die touristisch interessant sind. Spanien, Portugal, Italien, die skandinavischen Staaten nur grob, weniger die Osteuropäischen. Oder ich nenn mal das Beispiel Afrika: Da sprachen wir über Tunesien, Marokko, Ägypten natürlich, Namibia und Kenia. Also die afrikanischen Länder, die touristisch bekannt sind. Alle anderen gibt es in der Ausbildung einfach nicht. Algerien wurde nicht erwähnt, nicht mal, dass es das Land gibt, denn »da reist halt niemand hin«. Es kam einfach nicht vor. Was von den Ländern durchgenommen wurde, waren hauptsächlich die Sehenswürdigkeiten: Wo welche Moschee steht, das Klima, wie die Landschaft beschaffen ist. Die politische Lage oder welche Sprache die Leute sprechen, wurde nicht erwähnt. Das interessiert aus der Berufsperspektive der Reiseverkehrskaufleute anscheinend nicht.
F: Auch nicht, welche Sprache man können sollte, wenn man in ein Land fährt?
B: Nein, ich hatte zum Beispiel Kenia als Prüfungsfach in meiner mündlichen Prüfung und ich wusste nicht, was für eine Sprache die Leute dort sprechen. Ich habe mich vor kurzem mit einem Kenianer unterhalten und der hat mir gesagt, welche Sprachen es dort gibt. Ich wusste es vorher nicht, wir hatten es nicht gelernt.
F: Und es wurde auch nicht geprüft?
B: Nein, ich bin durch die Prüfung durchgekommen, ohne dass ich wusste, welche Sprachen in Kenia gesprochen werden. Von Kenia wurden die Nationalparks abgefragt, das Klima und wie lange der Flug dauert. Wichtig ist, ob es warm oder kalt ist, damit man die Leute beraten kann, was sie anziehen sollen.
F: Wie war das denn mit kritischen Aspekten, Tourismus hat ja auch Auswirkungen?
B: Das kam nur nebenbei, auf kopierten Zetteln, zur Kenntnisnahme. Es wurde nicht darüber diskutiert. Es kam mir vor wie ein Tabuthema. Als Reiseverkehrskauffrau geht es darum, Reisen zu verkaufen und nicht, sie kritisch zu hinterfragen. Es geht keinesfalls darum, zu sagen, in ein Land wie die Türkei sollte man besser nicht reisen, weil man da eventuell die türkische Politik gegen die Kurden unterstützt. Wir haben die Türkei durchgenommen, doch die kurdische Frage gab es sozusagen nicht. Einmal habe ich meinen ganzen Mut zusammen genommen, mich gemeldet und gefragt: »Wie ist das denn mit den Kurden?«. Der Lehrer hat so getan, als hätte er die Frage nicht gehört und auch aus der Klasse kam keine Resonanz. Politik ist einfach kein Thema. Es gibt Sehenswürdigkeiten, die man bereisen und besichtigen kann. Wichtig ist nur, ob es ein »warmes« Land ist, ob es schöne Strände hat, und so weiter...
F: Wenn ich z.B. an Thailand denke, da gibt es ja seit Jahren eine Debatte über Sextourismus. Wenn also Thailand durchgenommen wird, könnte ich mir vorstellen, dass dieses Thema zumindest mal zur Sprache kommt.
B: Nein, was mich auch entsetzt hat. Ich war während der Ausbildung regelmäßig ziemlich baff. Als wir Thailand durchgenommen haben, hab' ich mich persönlich mit der Sextourismus-Problematik intensiv beschäftigt und auch einige Filme dazu gesehen. Praktisch alle Filme waren ziemlich mies, so reißerisch, sensationsgeil. Dann habe ich einen gefunden, der die Thematik behutsam behandelte, wo auch Betroffene zu Wort kamen. Damit bin ich zum Lehrer und hab' gesagt, ich hätte da was passendes zum Thema Thailand. Aber er wollte den Film einfach nicht in seinem Unterricht haben. Ich könnte ihn ja in der Pause oder in einer Freistunde anbieten, oder nach der Schule. Ich habe mit ihm diskutiert, um das Thema in den Unterricht zu kriegen. Aber da war nichts zu machen. Der Lehrer dagegen hat uns einen Film über das »Reiseziel Dominikanische Republik« gezeigt und da kamen sogar ein paar Adressen vor, von denen man sagen kann, dass sie interessant für Sextouristen sein könnten.
F: In der Öffentlichkeit hat man ja ein recht positives Bild von der Ausbildung, man lernt Sprachen, hat viel mit Menschen zu tun, kommt herum. Wie war dein Eindruck?
B: Es heißt ja auch, dass man selber billiger reisen kann. Während meines Praktikums habe ich eine Informationsreise speziell für Reiseverkehrskaufleute mitgemacht. Solche Reisen sind besonders günstig. Wir sind während einer einwöchigen Rundreise von einer Sehenswürdigkeit zur anderen gefahren worden. Es war unheimlich stressig. Die Leute im Reisebüro sollten »Ahnung haben«, eben so viel, wie nötig ist, um die Reise anzupreisen. Das Ziel dieser Reise war, in einer Woche möglichst viel zu sehen, um dann möglichst viel erzählen zu können – immer für das ausschließliche Ziel, zu verkaufen. Eine Sehenswürdigkeit nach der anderen abklappern, so würde ich persönlich nie reisen wollen. Ich war nach dieser Woche völlig fix und fertig. Also, wenn das der Anreiz für diese Ausbildung ist, dass man viele Reisen dieser Art mitmachen kann, ist das für mich kein Grund. Die anderen haben geschwärmt, aber die Inforeise war nicht nur stressig; sie war wie die ganze Ausbildung: oberflächlich. Im Grunde lernst du gar nichts kennen.
F: Was wären denn für dich Forderungen an eine Ausbildung?
B: Zum einen müsste mehr über die politische Situation in einem Land und über die soziale Situation der Menschen zur Sprache kommen. Und die kritischen Seiten des Tourismus sollten mehr Raum einnehmen, müssten überhaupt zur Sprache kommen können. Es wäre auch nach den Folgen, Konsequenzen und Auswirkungen von Tourismus zu fragen.
F: Was war das dann für ein Gefühl, als du es hinter dir hattest?
B: Ja endlich hab' ich's rum; und tschüs!