FernWeh Publikationen: Die von Fernweh veröffentlichten Materialien wollen gezielt tourismusrelevante Informationen mit Blick auf das Nord-Süd Verhältnis vermitteln.
http://www.iz3w.org/fernweh/deutsch/publikationen/fernweh.html
Literaturhinweise zu Ferntourismus, Tourismuskritik und Tourismusforschung, die zur Debatte über den Tourismus in die Dritte Welt beitragen, umfassen: Bücher, graue Literatur und Broschüren sowie Sonderhefte und unveröffentlichte Studien.
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Tourismuskritische Zeitschriften: Eine kurze Beschreibung gibt eine Idee über die Ziele der Zeitschriften.
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Vorweg: diese Hinweise sollen nicht den Eindruck erwecken, dass es den richtigen Reiseführer gibt. Niemand wird ganz ohne Reiseführer verreisen wollen. Aber Reiseführer haben erheblichen Anteil daran, was wir von einem Land erleben, was wir uns ansehen, was wir wahrnehmen. Meist sind sie aus der Sicht von Reisenden geschrieben, die aus den gleichen Ländern kommen wie wir. Sich von einem Reiseführer zu versprechen, dass er mit Vorurteilen und Klischees aufräumt und einen direkten Zugang zum Zielland ermöglicht, ist illusorisch. Trotzdem gibt es ein paar Punkte, auf die man beim Kauf achten kann bzw. sollte.
Technisch-Formales:
Inhaltliches
Das sollte drin stehen:
Das sollte nicht drin stehen:
Eine übersicht über Anbieter von Reiseführern für Individualreisende mit übersicht über die Verlagsprogramme und LeserInnen-Bewertungen findet ihr unter www.travelbooks.de
East Africa. Auf dem Buchdeckel des lonley planet Reiseführers ist der Kopf eines Schwarzen im Profil abgebildet. Die Silhouette ist dunkel, ohne jede Abstufungen. Sie dient lediglich als Kulisse für den aufwändigen traditionellen (?) Schmuck, den er an Ohr und Hals trägt. Unterm Foto ist zu lesen: Includes 32-page colour wildlife guide.
In Reiseführern werden in besonderem Maß Bilder und Projektionen präsentiert. Das beschriebene Cover des Ostafrika-Reiseführers aus dem lange als alternativ und anspruchsvoll geltenden Verlag lonely planet steht exemplarisch für die exotisierenden Darstellungen Afrikas und seiner Bevölkerung in dieser Literaturgattung wie in der Reisebranche allgemein.
Tourismus lebt von Klischees, bewirbt und verkauft Stereotype, Bilder und Projektionen der zu bereisenden Länder. Reiseführer nehmen neben Werbeprospekten und Reisekatalogen eine wichtige Vermittlungsfunktion zwischen Kunde (TouristIn) und Produkt (Reiseland) ein. Ihre Aufgabe ist es, Verbraucherinformationen für den erfolgreichen Verlauf (Konsum) der Reise (des Produkts) zu geben. Je nach Reiseform wird Reiseführern unterschiedliche Bedeutung zugestanden am ehesten sind IndividualtouristInnen auf sie angewiesen. Und je nach Zielgruppe verfolgen sie unterschiedliche Ansprüche und differieren daher stark im Informationsangebot. Alle jedoch geben vor, (Hintergrund-) Wissen über Land und Leute zu vermitteln, das dem Verstehen und der Orientierung im fremden Land dienlich sein soll. Bei näherer Betrachtung wird allerdings deutlich, dass die überwiegende Mehrheit der Reiseführer viel eher die Klischees der TouristInnen bedient, als dass sie anstrebten, einen differenzierten Eindruck über Land und Bevölkerung zu vermitteln. Reiseführer sind fast ausschließlich Fremddarstellung, in den seltensten Fällen Selbstdarstellung. Dargestellt wird, was Reisende sehen wollen und sollen, nicht was Bereiste zeigen wollen.
In der Studie Vorbereitung für Verständigung analysiert Anke Poenicke das Afrika-Bild in deutschen Reiseführern.1 Sie kommt zu dem Ergebnis, dass insbesondere die fotografische Darstellung sich nur wenig von den typischen Bildern in der Reisewerbung unterscheidet. Gerade in Kenia-Reiseführern überwiegen die Klischees: Fotos von Löwen, Leoparden, Stränden und Hotelpools erwecken beim schnellen Durchblättern den Eindruck relativ menschenleerer Gebiete, und wenn dann Menschen vorkommen, sind es meist Massai oder ähnlich traditionell gekleidete Menschen Städter oder Städterinnen sind bei den Großaufnahmen rar. Afrikanische Menschen sind meist schlecht zu erkennen, weil die Fotos zu dunkel sind bzw. aus zu großer Entfernung aufgenommen wurden. Demgegenüber treten TouristInnen in schicker europäischer Tropenkleidung auf, die mit ihrer selbstsicheren Haltung auch in ungewohnter Umgebung als Nachfolger der Entdecker und Kolonialisten wirken. Auch in Terminologie und Themenauswahl werden (rassistische) Stereotypisierungen, mal direkter, mal subtiler (re)produziert. üblich ist es, zuerst die Tiere und dann die Menschen abzuhandeln, meist mit einer Überleitung, die eine Parallele zieht zwischen der Vielfalt der Tiere und Ethnien. Menschen und Tiere erscheinen so gleichermaßen als exotische Attraktionen. Gerade die Analyse der im Text verwendeten Terminologie macht deutlich, dass auch in der Reiseliteratur Afrika und Europa häufig mit unterschiedlichen Begriffen dargestellt werden. Das führt fast automatisch dazu, dass Afrika dann wieder primitiv und im Vergleich unterlegen wirkt. So ist in den Texten immer noch von Stämmen, viel von Ethnien und Völkern die Rede, die zudem meist mit verallgemeinernden Adjektiven versehen werden. Man erfährt von flinken Kikuyus stolzen Massai und kriegerischen Turkana. Kriegerisch scheinen aus deutscher Sicht überhaupt viele Kenianer zu sein, was aus der Geschichte der eigenen Gesellschaft einigermaßen bizarr anmutet.
Zusammenfassend kommt Poenicke vor allem in Bezug auf die Kenia-Literatur zu dem Schluss: Das Bild, das bleibt, ist sonst weiterhin das eines Landes (bzw. in der üblichen Verallgemeinerung eines Kontinentes), in dem nur oder vor allem die Europäer agiert haben und agieren, die Kenianer (bzw. die Afrikaner) aber als passive und anonyme Masse in statischen Gesellschaften schon immer gelebt haben und am liebsten weiterhin leben.
In den Büchern zu westafrikanischen Reiseländern wird ein etwas anderes Bild vermittelt. Autorinnen und Autoren wie Reisepublikum scheinen hier weniger nach Out of Africa dafür manchmal mehr nach Ethnokleidung, -musik etc. (was immer darunter zu verstehen ist) zu suchen. Mit der einzigen reiseführerischen Selbstdarstellung gelingt dem Ghanaer Cobbinah2 ein herausragendes Positivbeispiel. Sein Reisebuch über Ghana schafft es, Menschen als aktive und unterscheidbare Personen darzustellen, die nicht vornehmlich als TrägerInnen einer dekorativen Tradition herhalten. Ghana erscheint als ein Land mit Geschichte und Gegenwart, mit Natur und Gesellschaft. Cobbinahs oft humorvolle Kommentare erklären zum einen stimmig Dinge, die Fremde sonst nicht verstehen, also im doppelten Sinnen nicht sehen würden, und beherrschen dabei zum anderen die Kunst, über sich selber zu lachen.
Politische Gespräche in Guatemala
Indien: Die fremde Freundin
Indien: Meine Freundin, der Guru und ich
Marching Powder - »Besuch in einem Gefängnis«
Zeugnisse der westlichen Traumbilder von Tibet
Reise Know-How: Respektvoll Reisen
Aus der Geschichte von Frauenreisen
»Unser Hotel ist judenfrei.«
Rethinking Tourism and Ecotravel
Ausgebucht. Zivilisationsfluch Tourismus.
Neapel - Bochum - Rimini. Arbeiten in Deutschland Urlaub in Italien
Dort sein und gut sein. Das Magazin über »ethischen und fairen Tourismus«
Kuba aus der Ferne
Wurzeln in zwei Welten - MigrantInnen in Hamburg
Sprachverwirrung? Kulturelle Stereotype in Sprachführern
Polarisiertes Venezuela. Notizen zur »bolivarianischen Revolution«
Die Veröffentlichung des (Reise-)buchs Niederlagen des Friedens. Gespräche und Begegnungen in Guatemala und El Salvador hat in der Wiener Linken bereits einigen Staub aufgewirbelt. Der Grund: Mary Kreutzer und Thomas Schmidinger haben es sich nicht nehmen lassen, auch in Guatemala und El Salvador die Themen Nationalismus und verkürzte Kapitalismuskritik in ihren durchweg politischen Gesprächen wieder und wieder aufs Tapet zu bringen. Die verschiedenen Spielarten des Antiamerikanismus in der lateinamerikanischen Linken, die etwa in Bin Laden-T-Shirts und -Graffitis besonders drastisch zum Ausdruck kommen, veranlassten die AutorInnen mehrmals, ihre Gesprächspartner auf die Problematik eines solchen dualistischen Weltbildes hinzuweisen. Ihnen deshalb den Vorwurf zu machen, so geschehen in Wien, mit ihrer antinationalen Argumentation die moralische Korrektheit der eigenen politischen Einstellung betonen zu wollen, ist da fehl am Platze. Dass sie in den Gesprächen so klar Stellung zu dem Verhältnis der Linken zur USA beziehen, erhöht vielmehr den polit-dokumentarischen Wert des Buches.
Die Karikaturen von Camoch alias Camilo Melgar, selbst Guatemalteke, illustrieren kongenial die Thematik des zwiespältigen Verhältnisses zu den USA. Der allgegenwärtige, verhasste und umschwärmte Uncle Sam weist nicht zuletzt auch auf die Gefahr einer allzu plakativen Weltsicht hin.
Deutlich macht das Buch nicht nur die Spaltung der guatemaltekischen Linken, sondern gerade auch der ehemaligen Guerillavereinigung URNG, die jetzt in verschiedenen politischen Parteien weiterexistiert. In Guatemala ist, nachdem das 1996 unterzeichnete Friedensabkommen nie verwirklicht, geschweige denn in der Verfassung verankert wurde, seit 1999 die FRG, Partei des ehemaligen Militärdiktators Rios Montt an der Regierung. Auch einige ehemalige Guerilleros sind paradoxerweise in sein Lager gewechselt, darunter der ehemalige URNG-Comandante Pancho. Der Zerfall der ehemals starken Solidarität unter den URNG-Mitgliedern hat dazu geführt, dass politische Aktivität wieder gefährlich ist. Ein Menschenrechtler gibt gar an, sich während des Krieges sicherer gefühlt zu haben. Ehemalige Mitglieder fühlen sich heute verraten.
Die Autorinnen bringen aber auch andere Guatemala-spezifische Phänomene zur Sprache: Die zunehmende Macht evangelikaler Sekten, die Fälle von Lynchjustiz auf dem Lande. Auch dies sind Aspekte des politischen Lebens, die jedoch schwer zu beurteilen sind, da sie sich der Möglichkeit theoretischer Analyse und Recherche entziehen. Der Kontrast zwischen den skizzenhaft, ohne Subtilität dargestellten persönlichen Eindrücken und den detailreichen Gesprächen machen den eigentlichen Reiz des Buches aus. Gut recherchierte Hintergrundinformationen über Guatemala, die das Buch quasi als Paralleltext durchziehen, erlauben auch dem Guatemala-Nichtkundigen die politischen Gespräche einzuordnen. Gerade die Aussagen politisch Aktiver sind in dieser Bandbreite und Ausführlichkeit ein Blick in die Bibliographie bestätigt dies im Moment bestimmt nirgendwo anders zu finden.
Die 23jährige Esther - University of Sussex, bisher gesammelte Passstempel: Marokko, Ägypten und Israel - hat ihr Anthropologiestudium beendet und fliegt zusammen mit ihrer besten Freundin Gemma nach Indien. Die beiden sind ein ungleiches Paar: Esther ist schön, lebensfroh, energiegeladen; Gemma eher unscheinbar, phlegmatisch und introvertiert. Bei der Ankunft in Delhi scheint noch alles klar. Auf keinen Fall möchte Esther mit den Pauschalreisenden in einen Topf geworfen werden. Mit angeberischen weitgereisten Langweilern auch nicht. Sie gehört in die Kategorie abenteuerliche Minderheit, in die ihre Freundin Gemma, die erst eine Mallorcareise und ein Vierteljahr Au-Pair in Belgien auf der Habenseite verbuchen kann, mit ihrer großzügigen Hilfe aufgenommen werden soll. Entsprechend bestimmen die beiden ihr erstes Reiseziel nach dem Zufallsprinzip.
Zu Esthers Verärgerung kommt Gemma in Indien fast besser zurecht als sie selbst und schließt Freundschaft mit Coral, einer erfahrenen, aber etwas wirren australischen Globetrotterin. Esther ist eifersüchtig: Auf Coral, weil sie gerne auch so erfahren sein möchte, und auf Gemma, weil sie der ach so erfahrenen Backpackerin Esther die Schau stiehlt. Als Gemma krank wird, weigert sie sich, den entlegenen Ort zu verlassen. Gekränkt reist Esther alleine nach Delhi zurück um es später bitter zu bereuen...
Indien bildet in diesem Roman die Kulisse für extreme Erlebnisse, die mehr mit dem Verhältnis der zwei Frauen zu tun haben als mit der Reise. Notwendig scheint die Kulisse Indien allemal, denn dort zu sein, verspricht eine Extremsituation: Kulturschock, Hitze und Dreck gepaart mit spirituellen Erlebnissen ermöglichen erst die Entwicklung der Handlung. Die Ich-Erzählerin Esther sieht nur, was ihren Erwartungen entspricht, sprich das, was ihr Indienfilter im Kopf durchlässt. So empfindet sie vieles als unheimlich und bedrohlich. Kontakte zu Einheimischen bleiben auf den Kauf von Dienstleistungen und die ohnmächtige Konfrontation mit Bettelei begrenzt, die maßgebliche Handlung spielt sich allein unter Backpackern ab. Damit gelingt der Autorin, die selbst als Anthropologin lange in Indien gearbeitet hat, ein treffendes, wenn auch im Buch leider unreflektiert bleibendes Porträt der häufig egoistischen Motive für Fernreisen. Esther sucht das besondere Erlebnis, Coral spirituelle Erleuchtung, nur was Gemma sucht, bleibt zunächst verborgen. Wiedererkennungseffekte sind vorprogrammiert, besonders bei der anfänglichen Schilderung typischer Kulturschock-Backpacker-Arroganz-Fettnäpfchen-Situationen. Gleichzeitig ist die geheimnisvolle Geschichte der Freundinnen ab der ersten Seite spannend.
Dave macht wie die meisten seiner Freunde ein Jahr Pause zwischen Schulabschluss und Studienbeginn, jobbt und reist schließlich mit der Freundin seines besten Freundes nach Indien. Nicht, dass er je nach Indien gewollt hätte eigentlich will er nur mit Liz ins Bett. Aber da er gehört hat, dass lange, unangenehme Reisen die Persönlichkeit bilden, übersteht er die zahlreichen Strapazen: Hitze, Dreck, bettelnde Kinder, dubioses Essen, stundenlange Busfahrten, Bollywood-Filme, Durchfallattacken und nicht zuletzt die eigentlich unausstehliche Liz. Die beiden lernen andere Backpacker kennen Karikaturen von Hippie-Travellern, aber auch aus ihrer eigenen Generation. Zum Beispiel Jeremy alias J., der von der Privatschule kommt und in der Stadt ist, weil er auf einen Geldtransfer von Daddy wartet, und ihnen erklärt, wie mit bettelnden Kindern umzugehen ist (hart bleiben und ruhig handgreiflich werden, um ja keine Missverständnisse aufkommen zu lassen) sowie Ranj, einen Indo-Briten aus Südlondon, der auf der Flucht vor seiner reichen und traditionsbewussten Familie ist und mit dem Dave sich blendend versteht. In Manali finden sie billiges Gras und viele Backpacker Indien, wie es im Buche steht. Hier fühlt Dave sich wohl: ihm scheint Indien dort am indischsten, wo man nicht mit Indern reden muss.
Die Wege von Liz und Dave trennen sich, als Liz beschließt, zwei Sari tragenden Engländerinnen, die gerade aus einer Leprakolonie kommen, auf der Suche nach ihrem tantrischen Zentrum in einen Ashram zu folgen, wo sie intimem Yoga frönen. Dave ist zunächst am Boden zerstört zumal auch Ranj ihn verlassen muss und reist allein weiter. Auf einer Zugfahrt begegnet er einem Journalisten, der ihm in einer wütenden Tirade seine Art zu reisen vor Augen führt: Abenteuerspielplatz für Fortgeschrittene sei das, ohne jegliches Interesse für Land und Leute in die Dritte Welt zu fahren, nur um eine Erfahrung im Lebenslauf stehen zu haben, die nach Engagement riecht. Nach Strandurlaub in Goa, Kommunikationsversuchen mit Einheimischen, einer Lebensmittelvergiftung und einer extravaganten Woche mit dem erneut ausgebüxten Ranj kehrt Dave nach England zurück, wo sich die schlimmsten Erlebnisse in amüsante Anekdoten verwandeln und er sich in Dave the Traveller.
Schonungslos und augenzwinkernd behandelt Sutcliffe in seinem Roman eine Fälle kritischer Themen, die mit Fernreisen und Selbstfindung zu tun haben. Das Buch ist trotz seines etwas dümmlichen deutschen Titels nicht nur zum Schreien komisch, sondern auch augenöffnend für Backpacker und alle, die es werden wollen - ob mit dem Ziel, die Welt zu verbessern, sich selbst zu finden oder die Freundin des besten Freundes ins Bett zu kriegen.
Wer in San Pedro war, kann sich sicher sein, den Top-Insidern der Backpacker-Szene zugerechnet zu werden. San Pedro gilt als das Highlight einer Südamerikareise schlechthin. Statt eines flüchtigen Blicks hinter die Fassaden der romantischen Andenmetropole La Paz garantiert der Besuch des bekanntesten südamerikanischen Gefängnisses das völlige Eintauchen in das wahre Leben. Das hautnahe Erleben der Schattenseiten der bolivianischen Gesellschaft lässt sich hier kombinieren mit Momenten des Glücks und der Freiheit. Denn hinter den Mauern des Gefängnisses bekommen die Rucksackreisenden genau das, wofür die meisten der Inhaftierten einsitzen: jede Menge Kokain.
Das Buch Marching Powder erzählt auf tragikomische Art die unglaubliche Geschichte von Tomas McFadden, der sich als Touristenführer in San Pedro durchschlägt. Tom sitzt mehrere Jahre wegen Kokainschmuggel ab. Für die Kosten seiner Inhaftierung muss er wie alle Insassen selbst aufkommen. überleben kann in San Pedro nur, wer für seinen Aufenthalt auch zahlt.
San Pedro ist das einzige (bekannte) Gefängnis in Selbstorganisation. Ob Verpflegung, Wohnraum oder Gesundheitsversorgung die Insassen besorgen und managen alles zum (über-)Leben Notwendige selbst. Etabliert hat sich ein von Konkurrenz und Wettbewerb bestimmter Handel, ein wahrhaft kapitalistischer Mikrokosmos. Unverzichtbarer Bestandteil dieses Binnenmarktes und das macht die Insel San Pedro zu einem unglaublich realistischen Abbild der Gesellschaft ist ein kompliziertes System aus Korruption und mafiösen Banden sowie einer Währung: Kokain. Letztere ermöglicht den Außenhandel. Die Familienmitglieder der Gefängnisinsassen , importieren als regelmäßige Pendler zwischen Innen- und Außenwelt auf Bestellung das Notwendige und zahlen mit dem weißen Pulver.
Tomas McFadden überlebt, indem er einigen Kumpels, die sich auf die Herstellung von Kokain spezialisiert haben (des angeblich reinsten und besten ganz Boliviens), gut zahlende Kunden beschafft: TouristInnen aus aller Welt. Sie verbringen oft ganze Nächte mit Tom in seiner Zelle und lauschen immer versorgt mit ausreichend Stoff ebenso tragischen wie amüsanten Gefängnisgeschichten. Im Rausch wird die Brutalität der Erfahrungen von Tom, erzählt aus erster Hand, zu einem Nervenkitzel. Was für die einen zum Highlight ihrer Reise wird, ist für Tom unverzichtbarer Bestandteil des überlebens, zudem ständig durch die Unvorsichtigkeit seiner KundInnen gefährdet. Seine Storys sind ebenso wie das Beschaffen des Kokains Teil der Bewältigung seiner Situation.
Auf außergewöhnlich feinfühlige Art thematisiert das Buch somit ein leidiges Reisethema: Die Beziehung von Reisenden und Bereisten in all ihrer Vielschichtigkeit. Die Begehrlichkeiten von TouristInnen, die jenseits der vorgedachten Reiserouten ein Bolivien kennen lernen und das nackte Leben atmen (Pablo Neruda) wollen und doch aus ihrer Rolle nicht wirklich ausbrechen können, werden den Strategien eines Bereisen gegenübergestellt, der im Rahmen seiner Möglichkeiten das Beste aus der Begegnung mit den BesucherInnen macht. Doch so intensiv und freundschaftlich die Kontakte zwischen dem Gefangenen Tom und seinen BesucherInnen sind, so schonungslos unvereinbar und gegensätzlich sind doch deren Welten. Tom ist der Willkür und Folter des Gewaltapparates schonungslos ausgesetzt; die Traveler sind höchstens Gefangene auf Zeit und genießen jede Menge Sonderrechte obwohl sie ihren Reisepass, Garant für die Rückreise und Nachweis ihrer unschuldigen Identität, am Eingangstor hinterlegen müssen.
Beim Betreten des Gefängnisses wird die touristische Distanz aufgehoben, die Festung des Fremden ist gestürmt sozusagen Backstage pur. Die Überwindung von Grenzen, das Verlassen der touristischen Scheinwelt durch distanzloses und kollektives Erleben mit echten Einheimischen dient aber letztlich der Distinktion: Die Nähe zum echten Insider bedient das Begehren nach der Differenzerfahrung gegenüber der Backpackerszene. Dabei steht Tom hier nicht, um auf ein klassisches Leitmotiv des Fernreisens zu kommen, für kulturelle Unterschiede zum Eigenen. Vielmehr wird das Exotische an Tom, der übrigens Brite ist und nicht etwa Bolivianer, durch seinen rechtlichen Status als Verhafteter und das Flair der Drogenszene konstruiert.
Doch bleibt die Begegnung letztlich Utopie. Wenngleich das Buch nicht in tourismuskritischer Absicht geschrieben wurde, verweist es unnachgiebig auf die Unmöglichkeit, aus der touristischen Parallelwelt ganz ausbrechen zu können. Wenn Thomas über seine psychischen Krisen und physischen Gewalterfahrungen schreibt, wird klar, dass der Touristenguide und seine KundInnen unvermeidlich in Welten leben, die sich berühren mögen, aber niemals ineinander aufgehen. Die Welt von Tom ist nicht wirklich erfahrbar, ja nicht einmal konsumierbar.
Offensichtlich wird, dass die BesucherInnen doch nie mehr wie eine leise Ahnung vom Leben in San Pedro erhaschen können und die touristische Faszination nur unter Ausschaltung des tatsächlichen Grauens ermöglicht wird. Das Verhältnis zwischen Guide und Besucher, Insider und Gast, bleibt ein hierarchisches und immer auch √∂konomisches und dennoch: ursprünglich aus finanzieller Not erwachsen, beinhaltet die Begegnung zwischen Tomas und seinen Gästen wesentlich mehr Tiefe und persönliche Freiräume, als die rein ökonomische Beziehung zwischen TouristInnen und DienstleisterInnen vermuten lässt. Offensichtlich gewinnt die Begegnung gerade dann an Intensität, wenn die Differenzerfahrung und das Fremde, wegen der die TouristInnen nach San Pedro aufgebrochen sind, ein Stück weit obsolet werden: So wird Rusty, nachdem er monatelang in San Pedro zu Besuch war, ein enger Freund von Tom. Er ist schließlich derjenige, der Tom verhilft, die Geschichte in ein Buch zu fassen. Und doch: Als Rusty eines Tages bei einer Kontrolle mit den Tonbandaufnahmen geschnappt und aus San Pedro abgeschoben wird, ist für ihn das Versteckspiel zu Ende, während Thomas mit Todesangst die Rache der Gefängniswärter befürchtet.
Wie leicht man diese Nicht-Austauschbarkeit der Rollen bei der Lektüre vergisst, offenbaren die Buchkritiken. Die Rezensenten der Presse erliegen allzu schnell dem Hype des Nichtfiktiven, loben das Buch wegen seiner wahren Geschichte als eines der besten unter der Reiseliteratur und fallen dem Reiz des illegalen Ausflugs jenseits der normalen Reiserouten anheim. Doch kein Manko des Buches, höchstens seiner LeserInnen.
Der Held des Hollywood-Streifens Sieben Jahre in Tibet, ein ehemaliger NS-Bösewicht, ist am Ende erfüllt von der tiefen und mächtigen Gegenwart des Lebens. Die spürt er immer dann, wenn der Dalai Lama in seiner Nähe ist. Das denkbar Schlimmste des Bösen (ein Nationalsozialist) wird im idyllisch verfilmten Tibet zum Guten geläutert zum erleuchteten Superman. Nichts und niemand, so die Botschaft, kann sich dem positiven spirituellen Fluidum Tibets entziehen. Die Kritiker des Films bissen vor allem auf die nationalsozialistische Vergangenheit der Hauptfigur an und lieferten der heiklen Frage nach der Verbindungen der Nazis zu Tibet neuen Zündstoff. Der in dem Film wie in unzähligen anderen Inszenierungen bemühte Mythos einer geheimen, reinigenden Macht, die Tibet innewohne und in pazifistischer Erleuchtung daherkomme, blieb hingegen völlig unreflektiert. Dabei ist gerade dieser nahezu okkultisch-spirituelle Glaube an höchste Werte und reinste Kräfte ein Element, auf das die angebliche Nähe der Nazis zu Tibet und die Legende über eine tibetische Abstammung der Arier die Ariosophie gründen. Warum also macht dieser Mythos nicht skeptisch?
Das Buch Traumwelt Tibet Westliche Trugbilder geht den Fantasien und Mythen, die sich die westliche Welt im Laufe vieler Jahrhunderte rund um Tibet gebaut hat, gerade auch in Bezug auf nationalsozialistische Strömungen ordentlich auf den Grund. Es legt anhand hervorragend recherchierter Details über die Entstehung von Tibet-Fiktionen in Filmen, Romanen und Comics, aber auch in frühen Reise- und Forschungsberichten die jeweils zeiteigenen Sehnsüchte von Pilgern, Theosophen und Wissenschaftlern offen. Die LeserInnen erfahren Unglaubliches über eine lange Tradition des fast durchweg positiv rassistischen Tibetbildes des Westens, das noch heute faschistische Ideologien nährt: Frühe Formen eines religiösen Rassismus und die theosophische Rassenlehre werden als Vorboten nationalsozialistischer Tibet-Fantasien offenkundig und zugleich die Verbindungslinien der Nazis zu Tibet entschleiert. Dabei ist der Einblick in die Wirkungsmacht ideologischer Mythen das eigentlich Erschreckende.
Die sakralen Tibet-Vorstellungen sind heute keineswegs mehr nur wenigen privilegierten Pilgern oder Ethnografen vorbehalten: Durch die Kommerzialisierung Tibets hat die gesamte Gesellschaft des Westens Anteil an den Versprechungen ihrer selbstgezimmerten Fiktionen. Tibetische Weisheit und Reinheit, spirituelle Kräfte oder ganz einfach der Glaube an emotionale Intelligenz und eine gefühlsbetonte Gelehrtheit jenseits des Rationalen sind als beliebte Stilmittel in allen möglichen kulturindustriellen Produkten eingeschrieben in Filmen und Comics, in Romanen und New-Age Bewegung, esoterischen Produkten, touristischen Angeboten oder in der Auto- und Computerwerbung. Ganz offensichtlich ist diese Symbolik äußerst attraktiv, sonst könnten Apple Computer und Automobilhersteller nicht mit buddhistischen Lamas für die Perfektion ihrer Produkte werben. Die akkumulierten Traum- und Zerrbilder sind heute allerorts konsumierbar geworden, mehrjährige Tibetaufenthalte und Askese nicht mehr nötig. Der Kauf bestimmter Waren verspricht den Erwerb des entsprechenden Images.
Martin Brauen beabsichtigt keineswegs, den Mythen das wahre Tibet entgegenzuhalten. Vielmehr enträtselt er anhand einer beeindruckenden Vielfalt ganz unterschiedlicher Objekte meist kultureller Produkte und darin eingeschriebener Überzeugungen abstruse, zuweilen gefährliche Fiktionen. Er zeigt, woher die Zerrbilder kommen und wie tief sie in der westlichen Vorstellung verankert sind. Auf Tibet wurde seit jeher die imaginierte Vollkommenheit der eigenen Gesellschaft projiziert, sei es im religiösen Rassismus eines auf dem Dach der Welt vermuteten makellosen Christentums zur frühen Pilgerzeit oder der theosophischen Geheimlehre (gemeint ist die Vereinigung von Wissenschaft, Religion und Philosophie) als Quelle arischer Ursprungsmythen.
Mit dem Aufkommen gesellschaftskritischer Stimmen als Folge der Verunsicherung durch die industrielle Revolution und der Infragestellung religiöser und moralischer Werte durch einen sich ausweitenden Wissenschaftsrationalismus galt Tibet als der Ort des Anderen also all jener Fähigkeiten, die der eigenen Gesellschaft offensichtlich abhanden gekommen waren. An der Glorifizierung hatte sich damit allerdings nichts geändert Tibet wurde immer neu als Gegenwelt zum Diesseits stilisiert. Auch für politische Visionen jeglicher Couleur musste Tibet herhalten. Was dort seit 1949 vor sich ging, war für viele symbolisch für das Schicksal der ganzen Welt: Es spielte sich ein Kampf zwischen Mensch und Maschine, geistiger Freiheit und materieller Macht, der Weisheit des Herzens und dem intellektuellen Wissen des Hirns, zwischen der Würde des Individuums und dem Herdeninstinkt der Masse... ab. Wie und wieso diese Pazifismusmythen funktionieren, ist das eigentlich Spannende: So behandelt das Buch, inwieweit hier subtil die David-Goliath Metapher das kleine aber gerechte Tibet gegen das herrschende Böse als religiöses Erklärungsmuster und Hoffnungsträger psychologisch und ideologisch wirkt.
Am Ende ist offensichtlich: Ob Pilger, Ethnografen oder Theosophen, Autofahrer oder Computerhersteller, sie alle beziehen sich bei der Schaffung der Symbolik Tibets auf Deutungen und Muster, die ihren eigenen Begierden und Bedürfnissen entlehnt sind. Dass Tibet früher als nicht kolonisiert galt und ein dort evolutionistisches und hierarchisches Weltbild erkenntnisleitend war, hat vermutlich zur Bildung positiver Vorurteile, Überhöhungen und Rassefantasien beigetragen. Die Auswirkungen dieser positivrassistischen Wahrnehmung und der Ent-Ortung Tibets in die Welt westlicher Fiktionen und Waren macht eine Kritik an den tatsächlichen Verhältnissen im Land so schwierig. Auch oder gerade weil die gedachten Tibetbilder mit dem geografischen Tibet nichts zu tun haben, sind sie der politischen Sache Tibets hinderlich und nähren die Idealisierung des vergangenen Tibet immer wieder aufs Neue. Wenn es stimmt, dass erst die Einsicht ins fiktionale Tibet als gleichsam ideologisierten Begriffsraum den Blick auf die tatsächlichen Verhältnisse frei macht, dann trägt Traumwelt Tibet dazu wesentlich bei.
Im Urlaub werden Millionen Deutsche zu Fremden... und viele merken es gar nicht.
Genau an diesem Punkt setzt Respektvoll reisen an. Wer das ferne Urlaubsland nicht als Fremder in der Fremde, sondern als interessierter Gast erleben möchte, sollte verantwortungsbewusst mit seiner Rolle umgehen.
Der Autor gibt zahlreiche Tipps, die schon vor Beginn der Reise anfangen und erst mit der Nachbereitung der Reise enden. Für die touristische Begegnung typische Situationen wie Handeln und Bettelei werden ausfährlich und mithilfe von zahlreichen Farbfotos behandelt Heikle Angelegenheiten wie Almosen (k)eine harmlose Gabe, Sex unterwegs werden enttabuisiert. Darüber hinaus behandelt der Autor tourismuskritische Fragen wie etwa, wer am Tourismus verdient oder welche Reiseziele warum zweifelhaft sind. Zahlreiche Internettipps ergänzen das Büchlein im Minitaschenformat.
So erhält man viele Hintergrundinformationen und kann sich schon im Vorfeld ein Stück weit auf die Begegnung vorbereiten. Die Kategorie Fremde, das Fremdseins und Fremdmachen, werden überhaupt nicht thematisiert. Die Frage, inwiefern die Verhaltenstipps realitätsnah und in den unterschiedlichsten Situationen anwendbar sind, bleibt allerdings weithin offen. Der Spielraum, der letztlich beiden Seiten bleibt, ist bekanntlich nicht unendlich. So sinnvoll es erscheint, ihn respektvoll zu gestalten, so unerlässlich ist es, seine Grenzen nicht zu leugnen. Zu den Grenzen des individuellen Handelns hätte sich der Autor deutlicher äußern müssen, um überzeugend zu wirken.
Reiseberichte von Frauen in der Zeit des Deutschen Kaiserreichs sind das Thema von Ulla Sieberts Grenzlinien Selbstpräsentationen von Frauen in Reisetexten 1871-1914. Die Autorin legt damit eine grundlegende Analyse der Frauenreiseproblematik vor. Nachdem in den 80er Jahren noch die Biografieforschung im Mittelpunkt der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Frauenreisen stand, stellt Siebert nun unterschiedliche Wahrnehmungen von Frauen in den Vordergrund, die zur selben Zeit reisten. Im ersten Teil untersucht sie das Selbstbild von reisenden Frauen und betrachtet die dabei entstehenden Grenzlinien zu anderen Reisenden. Dabei wird detailliert und verständlich der Perspektivenwechsel innerhalb der feministischen Frauenreiseforschung beschrieben, der weg von einer alleinigen Konzentration auf die Wahrnehmung des Fremden oder auf Geschlechterbeziehungen hin zu einer Untersuchung der multiplen Beziehungen zwischen reisenden Frauen fährt. Damit rückt der Gender-Ansatz aus dem Zentrum der Analyse. Dies steht in enger Verbindung mit einem diskursanalytischen Ansatz, der außer der Kategorie gender noch race und class einbezieht. Ihre genaue Betrachtung der sozialgeschichtlichen Hintergründe von Frauenreisen mündet in der Untersuchung von Reisemotiven und Reisezielen. Außerdem beleuchtet Siebert die Wichtigkeit von Netzwerken für reisende Frauen im ausgehenden 19. Jahrhundert, denn insbesonders Frauen gleicher sozialer, deutscher oder europäischer Herkunft stellten Kontakt zueinander her und nahmen eine scharfe Abgrenzung zum touristischen Reisepöbel vor. Sieberts akribische Aufzeichnung der für Frauenreisen relevanten Diskurse von der Funktion von Pseudonymen und Widmungen über die Bedeutung von Zielgruppen bis hin zu geschlechtsspezifischer Raumwahrnehmung sowie der Haltung reisender Frauen zu Rassismus und Sklaverei verleiht dem Buch Handbuchcharakter für alle, die sich mit Reisetexten beschäftigen.
Im zweiten Teil wendet Siebert diese theoretischen Erkenntnisse exemplarisch auf zwei Reiseschriftstellerinnen der Kaiserzeit an. Eng am Text vergleicht sie die Selbstpräsentationen von Sophie Döhner (1844-1933) und Therese von Bayern (1850-1925), beide allein reisende Vertreterinnen des Bürgertums bzw. Adels. Hier ist der alleinige Vergleich Döhners und von Bayerns für die LeserInnen allerdings nicht ganz einsichtig eine Spezialisierung im großen Stil auf mehrere kontrovers diskutierte Autorinnen der Epoche wäre nach dem weitblickenden und vielversprechenden Einleitungsteil angemessener gewesen. Im Schlussteil konzentriert sich Siebert noch einmal auf Selbstbilder. Dieser Ansatz sollte laut Siebert auch auf männliche Reisende derselben Epoche angewendet werden, um die komplexe Beziehung zwischen öffentlichen Repräsentationen und privaten Aufzeichnungen von Reisenden darzustellen. Sieberts Buch lässt letztendlich hoffen, dass die Reiseforschung neue Wege gehen kann und statt des Postulats vieler Forscherinnen entweder Biografieforschung oder Textanalyse eine vielschichtige und verbindende Analyse von kulturellen, sozialen und sprachlichen Zusammenhängen denkbar wird.
Lungenkranke und Israeliten werden nicht aufgenommen. So zu lesen an der Pension Kersten in Fallingbostel im Jahre 1914 - und an hundert anderen Hotels in Deutschland. Kein Einzelfall also, wie Frank Bajohr in seinem brillant recherchierten Buch zum so genannten Bäder-Antisemitismus belegt.
Unser Hotel ist judenfrei schildert die Entwicklung des Bäder-Antisemitismus in deutschen Seebädern vom Kaiserreich bis zum Dritten Reich. Laut Bajohr eröffnet die Beschäftigung mit dem Thema den Zugang zu Dimensionen alltäglicher Judenfeindschaft in Deutschland, die bislang deutlich weniger Beachtung gefunden haben als die Analyse antisemitischer Ideologie.
Besonders auf der Insel Borkum kam es bereits um 1870 zu massiven Pöbeleien und übergriffen auf jüdische Touristen. Der Bäder-Antisemitismus war ein einträgliches Geschäft, denn antisemitische Einstellungen der Hoteliers kamen bei den neuen Mittelstandstouristen gut an. Seit Ende des 19. Jahrhunderts differenzierte sich das Publikum in den Seebädern nach sozialen Kriterien zunehmend aus. Waren früher nur gesellschaftliche Eliten in den Bädern zu Gast, erschien nun eine zunehmende bürgerliche Mittelschicht, nach der Jahrhundertwende auch Vertreter des Kleinbürgertums. Reisen wurde für immer mehr Menschen erschwinglich, so verzehnfachte sich die Zahl der Kurgäste allein von 1880 bis 1900. Das klassische Klientel, der Adel, verlor quantitativ an Bedeutung, zur dominierenden reisenden Gruppe zählten nun Kaufleute und Bankiers, Angestellte und Beamte.
Dennoch blieb Reisen vor dem ersten Weltkrieg bürgerliches Privileg, es war Statussymbol, wurde als Heiratsmarkt genutzt und diente zur sozialen Abgrenzung nach unten. Deutsche jüdische Gäste waren - gemessen an ihrem Bevölkerungsanteil - Überrepräsentiert, da sie, laut Bajohr, ein betont bürgerliches Sozialprofil aufwiesen. Nun gab es zwischen den bürgerlichen Mittelstandstouristen auch soziale Unterschiede. Und da, wo Repräsentieren so wichtig ist, wird auch die Betonung der feinen Unterschiede innerhalb der Gruppe wichtig. Hier war nun der Neid der weniger begüterten Badegäste Antrieb für antisemitische Einstellungen. Das Stereotyp des verhassten Parvenüs sollte eigene Inferioritätsängste schwächen.
Und auch die alten Eliten waren nicht zimperlich in ihrem Antisemitismus: Es war kein Zufall, dass Juden diese Aversion in besonderer Weise auf sich zogen, weil sie als sozial mobile Bevölkerungsgruppe das verhasste soziale Aufsteigertum repräsentierten, das vor allem die weniger vermögenden Angehörigen der traditionellen Eliten als Bedrohung ihres gesellschaftlichen Ranges ansahen. Bis zum Erlass des Reiseverbotes für deutsche Juden im Jahre 1937 sollte sich die Situation in den Seebädern noch mehrfach radikalisieren zunächst in den 20er Jahren, als antijüdische Stereotype Erklärungsmuster für wirtschaftliche Krisen lieferten und sich der gesellschaftliche Antisemitismus zunehmend mit dem politischen verknüpfte; ab 1933 schließlich verstärkt durch Aktionen der NSDAP. Zu den wichtigsten Quellen Bajohrs gehören die Veröffentlichungen des Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens (CV). Der Verein, 1893 gegründet und in der Reichspogromnacht 1938 liquidiert, war die größte Organisation zur Vertretung jüdischer Interessen in Deutschland. Der CV veröffentlichte regelmäßig Listen mit Adressen antisemitisch eingestellter Hotels und Gaststätten, um seinen Mitgliedern erniedrigende und gefährliche Situationen zu ersparen.
Während des Nationalsozialismus schließlich wurde die totale Ausgrenzung realisiert. Vor 1933 war der Bäder-Antisemitismus in erster Linie von Hotel- und Kurgästen ausgegangen, nach 1933 verlagerte sich die Initiative auf die Hoheitsträger der örtlichen NSDAP auf dem Weg zum judenfreien Strand.
Die Tourismuskritikerin Deborah McLaren bewertet die Entwicklungen im Ökotourismus. Ihr Ziel ist es, die Industrie aus einem zu stärkenden lokalen Planungsprozess gänzlich herauszuhalten. Nur so könne Entwicklung von Selbstbestimmung geleitet werden. In ihrem Buch Rethinking Tourism and Ecotravel setzt sie auf die individuelle Verantwortlichkeit im Tourismus. Nicht im Sinne einer Verzichtsethik, und auch nicht ausschließlich mit Blick auf den individuellen Konsum von Natur und Kulturgütern. Primär geht es der Autorin um ein emanzipiertes Denken und Handeln, das sich bewusst gegen die Falschinformationen und Mythen der globalisierten Tourismusindustrie verwehrt.
Dabei benennt die Autorin widersprüchliche Folgen des Tourismus: Reisen sei eben auch Grundlage für ein wachsendes Bewusstsein für die internationalen Probleme und zugleich Basis für gemeinsame politische Aktionen gegen die globalisierte Tourismusindustrie. Doch letztlich spielten sich alle Reisen innerhalb der sozio-ökonomischen Rahmenbedingungen und ihrer Herrschaftsstrukturen ab und unterstützten damit auch ihre anti-emanzipatorischen Potenziale. Reisen könne einerseits den gegenseitigen Respekt für Kultur und Natur fördern, denn er sei abhängig vom individuellen Erleben. Gleichzeitig drohe durch die Informationsflut Betäubung. Die Autorin fordert wissenschaftliche Analysen über die strukturellen Rahmenbedingungen des Tourismus, warnt aber zugleich vor den Unzulänglichkeiten des westlich-wissenschaftlichen Verständnisses, das die heutigen Formen des Reisens samt seiner Rahmenbedingungen erst geschaffen hat. So will Deborah McLaren die Sichtweisen der lokalen Bevölkerung aus den bereisten Regionen, ihre Beurteilung von sozialen Verhältnissen und ökologischen Parametern, in die Analysen einbezogen wissen.
Manche Nachhaltigkeitspostulate werden durch gut recherchierte Hintergrundanalysen als Fiktionen enthüllt. Immer in der Hoffnung, über persönliches Engagement und Kontakte (people-to-people) und durch öffentlichen Druck die green-wash Konzepte disqualifizieren zu können, zeigt das Buch Handlungsoptionen auf, ohne in die Sackgasse des Pragmatismus abzugleiten: The Paving of Paradise and What You Can Do to Stop It.
Der Titel Ausgebucht des Buches von Norbert Suchanek benennt nicht nur die Intention des Autors, die Schattenseiten des Tourismus in überlasteten Reiseregionen aufzuzeigen, sondern trifft zugleich empfindlich den Reisegeist der Zeit. Der Blick richtet sich hier explizit auf die Menschen in den Zielländern und ihre Umwelt. Die ökologischen Konsequenzen des boomenden Kreuzfahrt-, Jagd- oder Antarktistourismus sind sorgfältig recherchiert; die sozio-ökonomisch verheerenden Auswirkungen des Ferntourismus werden konsequent benannt.
Entgegen der Prognosen vieler Touristiker und EntwicklungsexpertenInnen erweist sich der Ferntourismus in die Dritte Welt häufiger als Schuldenfalle denn als Segen. Für die Menschen, die im Tourismus arbeiten oder in den Reisezielen leben, sind Menschenrechtsverletzungen und Vertreibungen, Wassermangel und verteuerte Lebenshaltungskosten nach wie vor fatale Folgen eines globalen Wettbewerbs der Touristikunternehmen und ihrem Trachten nach schnellem Profit. Allerdings stellt Suchanek die Menschen, die in den Reisedestinationen leben, als passive Opfer dar. Über ihre Strategien im Umgang mit dem Tourismus erfahren die LeserInnen nur wenig. Statt das komplexe Zusammenspiel von DienstleisterInnen und TouristInnen aufzuzeigen, von individuellen Handlungsspielräumen und strukturellen Zwängen auf beiden Seiten, bestimmt ein moralisierender Unterton den Stil des Buches. Die Tourismusbranche wird als imperialistisch dargestellt und die Motive der reisenden Gesellschaft nicht behandelt. Die Abfolge der Kapitel in Ausgebucht scheint so willkürlich wie das sich ständig aufblühende Angebot der Reiseindustrie Suchanek kommt von Golf- über Kindersex- und Prostitutionstourismus zu Natur- und Ökoreisen. Dennoch muss das ambitionierte und sehr anschauliche Aufzeigen der Probleme in einem unverblühmten Stil als Wohltat gegenüber der oft alle Probleme relativierenden Tourismusfachliteratur empfunden werden. Das Buch erscheint zu einem Zeitpunkt, zu dem große Teile der Tourismuskritik längst im Würgegriff realpolitischer Prozesse gelandet sind.
Während seit Mitte der fünfziger Jahre etwa zwei Millionen ItalienerInnen zum Arbeiten in die Bundesrepublik kamen, folgten zur selben Zeit Millionen von Deutschen für kurze Zeit ihrer Urlaubssehnsucht nach Italien. Diese gleichzeitige, gegenläufige Wanderungsbewegung nahm das Westfälische Industriemuseum zum Anlass für eine mittlerweile beendete - Ausstellung, um nach gegenseitigen Vorstellungen, Klischees und Vorurteilen, Wunsch- und Traumbildern zu fragen.
Tourismus und Migration werden dabei nicht als völlig neue Phänomene verhandelt. In den einleitenden Aufsätzen der Begleitbroschüre und des Ausstellungskatalogs wird immer wieder auf die lange Geschichte beider Bewegungen hingewiesen. So schloss die italienische Arbeitsmigration an eine Jahrhunderte lange Geschichte der Einwanderung an, die bereits 1937 zu einem ersten Anwerbeabkommen zwischen den damaligen Achsenmächten führte. Aus Arbeiter-Gästen wurden ab 1943 Zwangsarbeiter, und schließlich Gastarbeiter. Auf der anderen Seite sammelten zahlreiche Deutsche bereits mit der NS-Organisation Kraft durch Freude erste Italienerfahrungen, ab 1939 verbrachten viele Soldaten ihren Fronturlaub an Italiens Küste.
Vor diesem Hintergrund untersuchen die AutorInnen die ausgeprägte Italiensehnsucht, die Mitte der fünfziger Jahre weite Teile der deutschen Bevölkerung ergriff. Zahlreiche abgebildete Exponate und Zeitdokumente der Ausstellung illustrieren in der Ästhetik der 50er Jahre - teilweise sehr amüsant die bundesdeutschen Vorstellungen von italienischer Lebensart.
Italien wurde mit Sonne, Wein, Musik assoziiert, der Lebensstil des dolce far niente (süßes Nichtstun) schien nach den entbehrungsreichen Zeiten des Wiederaufbaus ideal für Urlaubsträume. Der Kontakt mit der einheimischen Bevölkerung war meist auf wenige Begegnungen mit touristischen DienstleisterInnen begrenzt, die bekannten Medienbilder wurden reproduziert und mit einer persönlichen Note versehen. Diese im Urlaub als angenehm und entspannend empfundenen Klischees wurden daheim jedoch gegen die italienischen Arbeitsmigranten gewendet. Was deutsche Schlager und Reiseprospekte als dolce vita und amore anpriesen, wurde nun als arbeitsscheu und belästigend ausgegrenzt, direkter Kontakt vermieden. Eine gleichberechtigte Begegnung fand nie statt, weder im Ruhrgebiet, noch in Italien. Die Italiensehnsucht nahm dennoch auch zu Hause einen immer größeren Stellenwert ein. Sie beförderte eine zweite, quasi dem Tourismus folgende Migration. Pizzerien und Eiscafes wurden mehrheitlich von neuen MigrantInnen aus Norditalien eröffnet und weniger von den bereits dort lebenden SüditalienerInnen.
Durch diese Gegenüberstellung von Italien - und Italiener - Bildern bietet die Broschüre zahlreiche Beispiele für eine Kritik am multikulturalistischen Diskurs, der sich die Welt anhand seiner eigenen Projektionen und kulturalistischen Deutungen erklärt. Toleriert wird nur, was noch als angenehm konsumierbar gilt, sei es bei multikulturellen Festen oder exotischen Restaurants. Auch wenn sich die beliebtesten Urlaubsdestinationen und damit die Projektionen mittlerweile verlagert haben, bleibt das touristische Wahrnehmungsraster identisch: was im Urlaub als exotisch und spannend angesehen wird, wird zu Hause zur Bedrohung der eigenen Identität stilisiert.
Schade ist jedoch, dass die AutorInnen an dieser Stelle keine tiefergehende Kritik an Macht und (kollektiver) Identitätsbildung formulieren, sondern bei den üblichen Appellen zum gegenseitigen Kennenlernen stehenbleiben.
Eröffne Dir neue Welten! Triff eine echte Abenteurerin auf einer einsamen Insel! Zieh Deine kubanischen Schuhe an und tanze! Gewinne eine Reise nach Indonesien!
Wer würde hinter solchen überschriften auf der Titelseite die tourismuskritische Organisation Tourism Concern aus London vermuten? Handelt es sich hier um bitteren Sarkasmus? Weit gefehlt: Die Gestaltung des neuen Hochglanz-Magazins being there women, holidays, life lässt keinen Zweifel, dass diesen Aufforderungen jede Ironie fehlt. Weder von außen noch von innen unterscheidet sich das neue Heft von Sommerausgaben klassischer Frauen-Zeitschriften wie Brigitte oder Cosmopolitan.
Auch bei being there geht es um Mode, Gesundheit, Kochen, Sex und Einkaufen nur, dass all dies auf fairen und ethischen Reisen geschieht. Die modern reisende Frau, der das Wohl der Armen am Herzen liegt, erfährt in kurzen und simpel verfassten Beiträgen, wie sie ihren Konsum fremder Länder und Kulturen ein bisschen fairer gestalten kann. Schließlich sollen die Bereisten ja auch was von der Lust am Reisen haben. Und wie in jedem Reiseprospekt wird eben diese Lust auf 72 Heftseiten mit bunten, exotischen und romantischen Bildern stimuliert. Have fun and enjoy yourself lautet das abschließende Credo der kleinen, praktischen Tipps, wie frau ethisch und fair unterwegs sein soll: freundlich lächeln, vor dem Fotografieren um Erlaubnis bitten, beim Zähneputzen Wasser sparen und natürlich immer wieder die lokale Bevölkerung mit ihrem Geld unterstützen. Sie feilscht nicht zu scharf, spendet hie und da mal an ein Schulprojekt und hat am besten immer kleine Geschenke dabei. Welcher Art, verraten erfahrene Reisende: Ein wahres Geschenk könnten zum Beispiel hübsch eingepackte kleine Seifen oder buntglitzernde Haarspangen und -schleifchen sein. Solche netten Kleinigkeiten erleichtern die Kontaktaufnahme und bezeugen Dankbarkeit für erfahrene Gastfreundschaft.
In being there kommen aber auch Einheimische zu Wort. Sogenannte bumsters aus Gambia, die Touristinnen gegen Geld romantische und sexuelle Dienste anbieten, erzählen über ihre Erfahrungen. Fatal nur, dass die Lektüre den Eindruck vermittelt, als wäre eigentlich alles in Ordnung. Es haben ja alle was davon. Die einen Lust, die anderen Geld, und alle zusammen ihren Spaß. It's a good job sagt bereits der Titel. Einen der sonst zu jedem Thema paraten kleinen, praktischen Tipp zu ethischem und fairem Verhalten sucht die am Sextourismus Interessierte allerdings vergeblich. Die kritische Leserin hingegen kann sich nur wundern, wie dieses heikle Thema zwischen Einkaufsempfehlungen für gute Souvenirs und einen Artikel über weltweite Schönheitskriterien für Frauen behandelt wird. Kein Wort über ungleiche Machtverhältnisse, über die schwierigen Verbindungen zwischen Rassismus und Sexismus, über Abhängigkeits- und Ausbeutungsverhältnisse.
Diese wider besseren Wissens vorgetäuschte Arglosigkeit zeichnet das gesamte Magazin aus. Erstaunlich, denn die britische Organisation Tourism Concern engagiert sich seit über 10 Jahren in tourismuspolitischer öffentlichkeitsarbeit. Sie thematisiert die Einflüsse des Tourismus auf die Lebensverhältnisse der lokalen Bevölkerung in ihren verschiedenen Kampagnen, auf Konferenzen und im vierteljährlich erscheinenden Heft Tourism in Focus.
Mit dem Magazin being there fällt Tourism Concern nun weit hinter die bisherige Arbeit zurück. Zwar werden auch hier einige der gravierenden Probleme des Tourismus angeschnitten, aber immer nur genau so tief, wie sie durch richtiges, individuelles Verhalten noch lösbar scheinen. Grundsätzliche Widersprüche, dass beispielsweise einzelne, kleine Gemeindetourismusprojekte nichts am Massentourismus verändern, wohl aber das Angebot des sich ausdifferenzierenden Tourismusmarktes vergrößern, haben in dem Lifestyle-Journal keinen Platz. Einmal mehr werden Armut und fremde Kulturen für den westlichen Markt auf Hochglanz ästhetisiert und romantisiert. Tourism Concern reproduziert hier exotische Klischees, deren Kritik sie sich eigentlich auf die Fahnen geschrieben hatte.
Völlig unreflektiert erzählt being there die Mär von der gutherzigen weißen Frau, die ihr Lebensgefühl auf gesunder Schönheit, gutem Gewissen und kulturellem Interesse aufbaut und die ihren Entwicklungshilfebeitrag quasi persönlich bei den Armen vorbei bringt. Hauptsache, sie bleibt ganz natürlich dabei getreu der Firmenphilosophie des Hauptgeldgebers The Body Shop.
being there steht exemplarisch für die aktuelle Tourismusdebatte, die statt grundsätzliche Widersprüche zu diskutieren lieber sozialverträgliche Angebote bastelt. Es geht darum, der ewigen Kritik endlich positive Vorschläge entgegenzusetzen, zu zeigen, dass alles auch besser geht. Statt der aufwändigen Auseinandersetzung mit politischen und ökonomischen Rahmenbedingungen einerseits und der Arbeit für eine selbstbestimmte (Tourismus-)Entwicklung in den Reiseländern andererseits, steht dabei mehr und mehr das Wohl und das gute Gewissen der Reisenden im Fokus. Der Qualität der touristischen Erfahrung wird mindestens ebenso viel Aufmerksamkeit zuteil wie den Lebensbedingungen der Gastgeber. Indem das individuell richtige Verhalten als Lösung angeboten wird, bleibt auch die Definitions- und Handlungsmacht auf Seiten der Reisenden bzw. Nord-NGOs. Sie sind diejenigen, die den Tourismus besser machen der Bevölkerung der Reiseländer wird kaum Spielraum eingeräumt. Das passt sich gut ein ins derzeitige gesellschaftliche Credo, das die persönliche Entwicklung des Individuums ins Zentrum allen Strebens stellt und das Ich zum einzigen Bezugspunkt allen Handelns erhebt. Politische oder gar systemkritische Fragen stören da nur.
Ottmar Ette und Martin Franzbach (Hg.): Kuba heute. Politik, Wirtschaft, Kultur.
Vervuert Verlag Frankfurt 2002, 864 S., 45,- Euro.
Eine umfangreiche Aufsatzsammlung zu Geographie und Stadtentwicklung, Politik und Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur Kubas will Aufschluss über die Karibikinsel geben. Trotz breit gestreuter Themen von Probleme der Stadterneuerung über Tourismus als wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Faktor, Sexualpolitik zwischen Anspruch und Wirklichkeit bis zu Lyrik und Malerei gelingt es dem Sammelband jedoch nicht, ein lebendiges Bild des heutigen Kuba zu zeichnen. Kubaner kommen nur ausnahmsweise zu Wort (drei von 29 Autoren). Überwiegend verbreiten ältere deutsche Akademiker ihr papierenes Wissen, oft so abgehoben oder angelesen, dass mehrere von ihnen es für nötig halten zu erwähnen, sie hätten über das von ihnen behandelte Thema auch mit kubanischen Fachleuten gesprochen.
Es wundert daher nicht, dass naheliegende Fragen wie die nach der möglichen Zukunft Kubas im Post-Fidel-Castro-Zeitalter kaum angesprochen werden. Einzelne qualifizierte Autoren wie Bert Hoffmann und Hans-Jürgen Burchardt haben ihre Einsichten schon anderswo publiziert. Auf ein Buch, das es verdient, Kuba heute zu heißen, müssen wir weiter warten.
Vom Leben westafrikanischer MigrantInnen in Hamburg
In dem Buch geht es vor allem um westafrikanische MigrantInnen und ihrem Leben in Hamburg. Die überregionale Migration, die Reisewege nach Europa - speziell nach Deutschland - sowie die Ankunft und die Erfahrungen in diesem Land beschäftigt die AutorInnen. Sie berufen sich entweder auf ihre eigenen Erlebnisse wie z.B. Odilie Tendeng- Weidler und Mamadou Diarrassouba, die selbst Migrationserfahrung haben, oder auf Begegnungen mit Menschen aus einigen westafrikanischen Ländern, die vor allem im Rahmen von Dolmetschtätigkeiten oder der Begleitung minderjähriger Flüchtlinge zustande kamen.
Der Ansatz, die migrantische und nicht-migrantische Perpektive zu verbinden, erlaubt ein vielstimmiges Bild, in dem nicht nur über die Betroffenen gesprochen wird, sondern wo diese selbst zu Wort kommen. Das Buch geht damit weit über Fallbeispiele hinaus und bietet auch Nicht-HamburgerInnen wesentliche Informationen. Zunächst werden allgemeine Infos zu Migration gegeben und auf das »Asylverfahren« eingegangen. Der unsichere Aufenthalt in Deutschland und die damit verbundenen Schwierigkeiten machen deutlich, wie willkürlich über Schicksale von Menschen entschieden wird. Einsamkeit und massive psychische Belastungen sind während laufender Asylverfahren häufig. Im Anschluss beschäftigt sich das Kapitel »Lebensziele - Lebensinhalte« mit Arbeit, Schule, Studium und Religion und den oft schwierigen Voraussetzungen für MigrantInnen, diesen Tätigkeiten nachzugehen oder an diesen gesellschaftlichen Räumen zu partizipieren. Ein ganzes Kapitel widmet sich der »Migration von Frauen - Migration und Familie«, wobei darin auch binationale Eheschließungen auggegriffen werden, mögliche Szenarien wie es dazu kommt und vor allem, was es für die »Betroffenen« bedeutet.
Unter »Leben in zwei Welten« geht es um das Thema »kulturelle Unterschiede« sowie um die Bedeutung von Heimat. Ersichtlich wird der Stellenwert, der hierbei der westafrikanischen Community in Hamburg und der Musik zukommt. Das Kapitel »kultureller Perspektivenwechsel« stellt die Frage, wie viel EuropäerInnen und AfrikanerInnen voneinander wissen. Die AutorInnen kommen zu dem Schluss, dass hier ein deutliches Ungleichgewicht herrscht: Selten reicht das Wissen von Afrika über Stereotype hinaus. Abschließend werden Möglichkeiten des Handelns in Deutschland aufgezeigt, ergänzt durch nützlichen Adressen und (Literatur-)Tipps für alle, die sich mit Migration beschäftigen oder davon betroffen sind.
Wirklichkeitsgetreu werden die Schikanen mit den hiesigen Behörden dargestellt und so die Allgegenwart von Rassismen verdeutlicht. Eine wichtige Feststellung des Buches ist, dass Rassismen vor allem durch ein nicht wissen voneinander oder, in Erweiterung dazu, von anderen Lebensvorstellungen zustande kommen. Diese Aussage ist hier nicht als multikulturelle Platzanweisung gemeint, sondern soll eher gegen Klassifizierungen sprechen. Schwarze werden per se zu Drogendealern stigmatisiert und müssen hier ihr Leben als ein halbes Gefängnis erleben, das der Perspektivlosigkeit, aus der viele versucht haben zu entkommen, keine Alternativen bietet. Aufgezeigt wird auch der neo-koloniale Charakter der Beziehung, in der sich EuropäerInnen noch immer als das Zentrum der Intelligenz sehen. So werden MigrantInnen nach wie vor dirty, dangerous and difficult Jobs zugewiesen, »Niveau« wird ihnen nicht zuletzt aufgrund ihrer Hautfarbe häufig abgesprochen.
Unnötig oft wird das persönliche Interesse und Engagement der deutschen (Mit)HerausgeberInnen hervorgehoben - ganz ohne multikulturalistische Verklärtheit geht es auch hier nicht zu. Zudem ist die gender-unsensible Ausdrucksweise gerade in einem Buch, das sich zur Aufgabe macht, Diskriminierungen zu thematisieren, reichlich unangebracht. Die Kürze der einzelnen Texte und die recht kompakte Sprache machen das Buch aber letztendlich zu einem kurzweiligen Vergnügen.
Sprachführer haben das Ziel, Reisenden in knapper Form und handlichem Format die Sprache des Reiselandes nahe zu bringen und ihnen zu ermöglichen, sich in schwierigen Situationen zurechtzufinden. Sie sollen dann zum Einsatz kommen, wenn keine sprachliche Verständigung in der eigenen oder einer anderen westlichen Kolinialsprache möglich ist. Ausgesucht werden zumeist tourismustypische Alltagssituationen wie Taxifahrten, Restaurant und Einkaufen oder aber Notfälle wie Krankheiten. Durch die Auswahl der Situationen und Redewendungen werden allerdings auch Stereotype über das jeweilige Reiseland geformt. Durch die sprachliche Nachahmung der Beispiele werden dann die Begegnungssituationen des Urlaubs vorstrukturiert.
Der Kauderwelsch-Sprachführer »Hindi« ist ein solches Beispiel. Im Vorwort verkündet der Autor, welche Vorteile er aus seinen sprachlichen Fähigkeiten in Indien ziehen konnte: »Die Taxifahrer versuchten nicht mich übers Ohr zu hauen, die Basarhändler verkauften mir ihre Waren zu einheimischen Preisen, die Kellner bedienten mich mit ausgesuchter Freundlichkeit und in langen Warteschlangen ließ man mich bereitwillig vor. Das alles, weil ich Hindi sprach.«
Die Passage weist den Autor als Kenner der landestypischen Verhältnisse aus, der weiß, dass man als westlicher Tourist (mit Sprachkenntnissen) eine Menge Vorteile und ein besonders zuvorkommendes Verhalten der anderen erwarten kann. Den touristischen Newcomer (ohne Sprachkenntnisse) warnt sie hingegen vor der lokalen Bevölkerung, die ihm vor allem nach dem Geldbeutel trachtet.
Die landeskundlichen Beispiele sind oft kleine Anekdoten von eigenen Reisen oder ›unumstößliche Wahrheiten‹ über die Kultur des Reiselandes, die nebenbei auch noch einen Lacher provozieren sollen: »Nun, in der Warteschlange hätte ich auch anders vorankommen können. Gibt es doch in Rajasthan seit kurzem eine Verordnung, die besagt, dass jede Person, die sich im Zuge der Familienplanung hat sterilisieren lassen und dies durch einen Ausweis belegen kann, sich an die Spitze jeder Schlange vorschieben darf. Ehrlich gesagt - der Weg über das Hindi war mir da schon lieber!«
Folgt man dem Autor in seiner Logik, lohnt sich das Lernen allemal, da »Hindi in der Reihenfolge der gesprochenen Sprache der Erde zwar nur an dritter Stelle steht, doch ist zu erwarten, dass sich noch einiges in der Reihenfolge tut! Womit wir wieder bei der Geburtenkontrolle angelangt wären...« Locker flockig werden einige Grundpfeiler zur Einordnung der ersten Reiseeindrücke gesetzt.
Besonders mit Blick auf die folgenden Beispiele ist noch die letzte Bemerkung des Vorworts interessant, in der Rainer Krack sein Spiel mit dem Sprachenwechsel beschreibt, um sich in vorteilhafte Situationen zu bringen. »Wenn ich Englisch sprach, respektierte man mich als reichen Sahib aus dem fernen, reichen Europa. Das machte sich immer gut, wenn ich mich durch brenzlige Situationen hindurchboxen musste. Englisch ist in Indien immer noch die Sprache des befehlenden Vorgesetzten. Sprach ich dagegen Hindi, so öffneten sich die Gesichter und ich war viel mehr als der Sahib. Man hatte mich als Freund akzeptiert. Merke: Das schönste Kompliment, das man den Bewohnern eines Landes machen kann, ist, ihre Sprache zu sprechen oder es wenigstens zu versuchen...«
Beim Blättern durch die Beispielsätze (jeweils mit Übersetzung), fragt man sich, ob Inderinnen und Inder viele dieser Sätze tatsächlich als Kompliment auffassen würden. So liest man zum Thema Restaurantbesuch: »Der Geschäftsinhaber schläft immer!« - »Bitte bringen Sie ein neues Glas, dieses ist schmutzig« - »Das sieht seltsam aus. Ist das verdorben?« Oder zum Thema Unterkunft: »Das Bettlaken ist schmutzig. Bringen sie ein neues!« - »Der Fußboden ist auch nicht sauber. Fegen Sie aus!« - »Warum gibt es keinen Strom?« Oder zum Thema Kaufen/Verkaufen: »Ich habe nicht allzu viel Geld, machen Sie mir einen guten Preis!« - »Geben Sie's auf, ich kaufe nichts!« - »Ich sagte Ihnen doch, ich will das nicht.« Fährt man mit Sprachführer Taxi oder Bus, so sagt man: »Wenn Sie einen langen Weg fahren, werde ich mich bei der Polizei beschweren!« - »Fahren Sie langsam. Ich habe genug Zeit!« - »Was macht das? Das erscheint mir doch etwas viel! Ich glaube der Anzeiger ist nicht in Ordnung.« - »Hat der Fahrer etwa Schnaps getrunken?« In der Rubrik Streitigkeiten wird der Ton dann sogar noch gesteigert: »Mach, dass Du wegkommst!« - »Du bist ein Schurke!« - »Verarsch mich nicht!« - »Ich hau Dir gleich eine runter« - »Der da ist ein Dieb!« - »Ich mache ein Riesentheater!« - »Fahr zur Hölle!«
Natürlich gibt es auch andere Beispiele und einen eigenen vierseitigen »Mini-Knigge«, der über gutes, respektvolles Benehmen aufklärt. Umso erstaunlicher ist die Häufung abwertender, respektloser Floskeln, die jedoch dem Verhältnis von TouristInnen und indischen Händlern und Dienstleistungspersonal im Tourismus oftmals entsprechen. Der Autor macht freilich darauf aufmerksam, dass die negativen Floskeln nur in bestimmten Situationen angewandt werden sollten. Es bleibt jedoch der Eindruck, dass vor allem Beschimpfungen, Misstrauen und hartes Verhandeln das Lernangebot dominieren.
Auch der »Mini-Knigge« geht nicht über die Exotik-Beispiele der üblichen Kultur-Ratgeber hinaus. Dort wird den LeserInnen der kulturell verankerte Respekt vor alten Menschen und das Schuhe-Ausziehen vor den Tempeln nahe gebracht. Nebenbei wird vor Fälscherwerkstätten gewarnt und erklärt, warum man beim Taxifahren betrogen wird, wenn der Zähler nicht eingeschaltet ist. Als amüsante Schmankerl wird erläutert, dass Spucken kulturell erlaubt ist, wenn kein Verbotsschild angebracht ist, und dass Männer den kleinen gekrümmten Finger ausstrecken, wenn sie nonverbal erklären möchten, dass sie Pinkeln gehen müssen. Alles Beispiele, die Reisende unter Garantie schon einmal gehört haben, weil sie durch den enormen Umlauf Eingang in das kollektive Wissen der Traveller-Community gefunden haben.
Durch Beispiele, Anekdoten und Bebilderung trägt der Autor insgesamt dazu bei, Klischees von schmutzig, überbeölkert, geldgierig sowie exotisch bunt, religiös, okkult, familienorientiert und absurd zu beschreiben und zu bestätigen. Immer wieder ernennt sich Krack selbst zum besonderen Kenner der indischen Kultur, der durch sein Sprachwissen Zugang zu Ritualen und verborgenen Kulten des Hinduismus habe. So grenzt er sich von »ganz normalen« Travellern positiv ab, da er authentischer reise. Als kulturell-kompetenter Mensch kann er sich in Alltagssituationen alle Vorteile verschaffen, die TouristInnen seiner Meinung nach zustehen, wenn sie es schaffen, zwischen den Polen der Ausübung der »Macht des Sahibs« und einem freundschaftlichen Verhältnis durch »kumpelhaftes« Traveller-Kauderwelsch hin und her zu wechseln. Diese Kompetenz möchte er auch weitergeben und bemüht sich redlich, Generationen von Travellern den Traum vom authentischen Erlebnis und seiner Auffassung von freundschaftlicher Begegnung nahe zu bringen.
Kaffeepflücken in Nicaragua oder El Salvador, Schulbau und Schulterklopfen auf Kuba ... den linken Revolutionstourismus zog es immer wieder nach Lateinamerika. Neben ernsthaftem politischem Interesse spielten dabei oft auch Mythen und Romantisierungen eine Rolle. Wie kann heute - im Wissen um die gescheiterten Revolutionen und die eigenen Projektionen - "politisch korrektes" Reisen aussehen? Eine Möglichkeit zeigt der Berliner Autor Raul Zelik mit seinem Buch Made in Venezuela auf, das sich zwischen Reisebericht und politischer Reportage bewegt.
Venezuela wird seit 1998 von dem linkspopulistischen General Hugo Chavez regiert, der sich 1992 auch schon einmal an die Macht zu putschen versuchte. Das Land ist tief gespalten in Befürworter und Gegner der Regierung. Kommunikation zwischen den Lagern ist kaum noch möglich, da sich die Wahrnehmungen der Realität auf unterschiedliche Welten zu beziehen scheinen. Unternehmerverbände, Gewerkschaften, Teile des Militärs und die Medien werfen der Chavez-Regierung Unfähigkeit und Korruption vor und bezeichnen sie als Castro-kommunistische Diktatur, die die Mittelschicht verarmen lasse und die Bewohner der Slums gegen sie aufstachle. 2002 gab es mehrere, von den USA unterstützte Umsturzversuche, die schwere wirtschaftliche und politische Krisen verursachten, aber letztlich scheiterten. Chavez wird gestützt von BewohnerInnen der Armenviertel, Landlosen und Kleinbauern, Basis-Gewerkschaften und auch von Teilen des Militärs.
Zelik stellt die Frage, warum sich Linke ausgerechnet auf einen Militär an der Macht positiv beziehen sollten, dessen größtes Projekt eine neue bürgerlich-demokratische Verfassung sei. Er gibt darauf einige Antworten: Immerhin sei die von manchen VenezolanerInnen wie eine Mao-Bibel herumgetragene Verfassung die demokratischste der Welt und sehe z.B. die Möglichkeit zur vorzeitigen Abwahl aller Mandatsträger vor. Es gebe weiter eine Landreform und eine Bildungsoffensive zugunsten der Armen. Die Reformvorhaben seien zwar bislang auf den politischen Bereich beschränkt oder nur sehr bruchstückhaft umgesetzt worden. Manchmal zeichne sich die Regierung auch eher durch das positiv aus, was sie unterlasse. Dennoch geht Zelik davon aus, dass sich einiges an der Basis der Gesellschaft verändert hat. Seine Besuche bei Stadtteilorganisationen, einem religiösen Fest in einem alternativen Radio oder in neu errichteten Kartonhüttenslums stärken den Eindruck, dass die sozialen Selbstorganisations- und Aneignungsprozesse das Wesentliche an der ›bolivarianischen Revolution‹ in Venezuela sind. Sie überstünden auch einen Putsch gegen Chavez und bewegten sich jenseits des Dualismus von politischer Reform oder Revolution. Die Basisaktivisten verteidigten die Regierung gegen die Opposition, stellten sich aber nicht bedingungslos hinter sie und nähmen Autoritäten ohnehin nicht so ernst.
Das Buch ist sehr eingängig geschrieben. Politische Analysen wechseln sich ständig mit (Reise-)Beschreibungen, Geschichtchen oder skurrilen Eindrücken ab. Zelik wählt die Ich-Perspektive und vermeidet weitgehend den Eindruck, (als Deutscher) eine objektive Analyse auftischen zu wollen. Seine Parteilichkeit für die bolivarianische Revolution wird deutlich, auch wenn er immer wieder auf deren innere Widersprüche verweist. Etwas dünn erscheint die Beschreibung der Opposition, die zu sehr auf Çdie da obení reduziert wird. Man könnte insgesamt also von einer Art aufgeklärter Revolutionsromantik sprechen. Ergänzt wird der Text durch Fotos von Sabine Bitter und Helmut Weber, die Schauplätze der sozialen Transformation in Caracas präsentieren.
Videos: Your Place or Mine & Looking Beyond the Brochure
A donde viajar? Tourismus im Spanischunterricht
Tourismus in peripheren Räumen - Beispiele für den Geographieunterrich
Aktiv sein gegen Kinderprostitution und kommerzielle sexuelle Ausbeutung von Kindern
Die britische Organisation Tourism Concern richtet sich mit zwei Lehrvideos an westliche Fernreisende. Beide gehen von der Erkenntnis aus, dass der Urlaubsort des einen die Heimat eines anderen ist. Your Place or Mine? möchte (tendenziell junge) Individualreisende für die Auswirkungen ihres Handelns sensibilisieren und liefert für jedes Problem gleich eine einfache Verhaltensregel mit. Statt die Menschen vor Ort zu Objekten in Fotoalben zu machen, könne man Fotografieren auch als Mittel zur Kommunikation einsetzen und beispielsweise gleich ein Polaroidfoto da lassen. Und als ein Bergführer von shit trails berichtet, auf denen man die vor einem wandernden Gruppen anhand der Farbe ihres Klopapiers identifizieren könne, demonstriert das Video umgehend plastisch, wie weit man vom Pfad beiseite treten und wie tief man graben soll, um sich zu erleichtern.
Die klare Botschaft lautet: Denk ein wenig nach, sei fair, dann bekommst du viel mehr von den Leuten zurück. Mit den schnell geschnittenen Ratschlägen wird der Eindruck vermittelt, es sei einfach, durch richtiges Verhalten alle Probleme des Tourismus individuell zu lösen. Die in den gravierenden Ungleichheiten zwischen TouristInnen und Bereisten liegende Problematik wird damit ausgeblendet. Die Aufforderung, mit den Leuten zu sprechen, bleibt so auf die Frage nach dem Weg zum Bahnhof und eine Antwortgeste beschränkt.
Der Film Looking Beyond The Brochure - Tourism in The Gambia richtet sich an Pauschalreisende. Er reproduziert zunächst die schöne Welt der Paradies-Inszenierung, um sie dann in Frage zu stellen. Denn: »Tourism is a two-way experience.« Lokale Akteure formulieren das ist die Stärke des Films klar ihre Ansprüche. Sie fordern Respekt und vor allem ökonomische Teilhabe, etwa wenn Kleinhändler darauf verweisen, dass fast die gesamten Einnahmen aus den Pauschalreisen bei ausländischen Hotels und Reiseagenturen verbleiben.
In der hieraus abgeleiteten Antwort »Was du siehst, ist eine Illusion, aber mein Leben ist Realität. Also schaue hinter den Vorhang" liegt zugleich die Schwäche des Films. Der Lehrfilm wird zum reinen Werbespot, der nun die Backstage, das wahre Leben hinter den Kulissen inszeniert. Etwa bei einem beim Dorffest, wo es ›echte Erfahrung‹ und Kommunikation gibt, wenn beim Ringen oder Fußballspielen auch mal ein Weißer dabei ist. Welche Authentizität dort zu finden ist? »Wir warten auf Sie - Freundlichkeit ist Teil unserer Kultur«.
Mit dem Reisekoffer A Donde viajar? Turismo en los cursos de espanol können SpanischdozentInnen ihre StudentInnen auf eine Entdeckungsreise nach Lateinamerika entführen. Diese Reise wird jedoch nicht im Fünf-Sterne-Resort verbracht. Gesucht wird der Kontakt mit den Einheimischen, das Kennenlernen ihres Lebensumfeldes und ihrer Probleme stehen im Zentrum. Und es geht um Tourismus. Dass dieser der Bevölkerung nicht nur Einnahmen beschert, wird hier anhand der Auswirkungen von Sex-, Massen- und all-inclusive Tourismus dargestellt. Zudem informiert Adnde viajar über nachhaltige Formen des Tourismus. Es geht also nicht nur ums Spanischlernen. Die Sprache wird zum Transportmittel eines ziemlich brisanten und aktuellen Themas.
Bei der Vorstellung einzelner Länder Lateinamerikas erfährt man neben den Klassikern Geschichte, Klima, Landschaft und Sehenswürdigkeiten auch einiges über zeitgenössische Themen der heutigen Gesellschaft. Dabei kommt die genüssliche Seite keineswegs zu kurz: es geht auch um kulinarische Köstlichkeiten, Rezepte sind beigelegt. Abgerundet wird der Inhalt des Reisekoffers durch Karikaturen, Fotos sowie nützliche Adressen und Internetverweise.
Die lose Blattsammlung enthält konkrete Unterrichtsvorschläge (nicht nur für Volkshochschulkurse), die nach Schwierigkeitsgraden geordnet und mit Verweisen auf Kapitel in aktuellen Lehrbüchern unterstützt werden. Der länderspezifische Informationsteil und insbesondere die Sparte Geschichte ist leider in einem Sprachniveau geschrieben, das sie für Anfänger ungeeignet macht. Schade auch, dass bei einigen Zeitungsartikeln die Quellenangaben fehlen, dadurch verliert das Buch an Professionalität.
Dieser Reisekoffer ist genau an die richtigen Empfänger adressiert. Wem würden tourismusspezifische Vokabeln und Hintergrundwissen über Lateinamerika mehr nützen als potenziellen Reisenden in spanischsprachige Länder?
Wie hätte man gezielter die potenziell Reisenden auf die Kehrseiten des Tourismus aufmerksam machen und für respektvolles Reisen motivieren können? Einen Spanischkurs an der Volkshochschule nicht nur auf Begrüßungsrituale und Klischeehafte Länderbeschreibungen zu beschränken, ist eine geniale Idee.
Wie der Titel »Tourismus - Lösung oder Fluch?« verrät, stellt die Beitragssammlung den Versuch dar, die Vor- und Nachteilen des Tourismus in peripheren Räumen gegeneinander abzuwägen.
»Es ist in der Tat sehr einfach, ... den Tourismus... zu kritisieren; Lösungen zu finden dagegen ausgesprochen schwer«, merkt Heike Egner im Vorwort an. überzeugend wirkt das Buch in der Tat, weil nicht gleich zu jedem Problem eine Lösung angeboten wird. Ob der Tourismus in peripheren Regionen nun als Lösung sozio-ökonomischer Probleme oder deren Verursacher zu bewerten ist, kann nie allgemein, sondern nur am konkreten Beispiel und oft nur für bestimmte Interessensgruppen beantwortet werden. Dies zeigen sowohl die positiven als auch negativen Beispiele des Buches ganz deutlich. Diese ehrliche Beantwortung der im Titel aufgeworfenen Frage verleiht dem Buch einen weitgreifenden Charakter und legt es nicht auf eine Interessensrichtung fest.
Die acht vorgestellten Forschungsarbeiten sollen im Schulunterricht einsetzbar sein. In der Tat bieten die vielen Karikaturen, Landkarten, Graphiken, Zeitungsartikel, Internetadressen etc. einiges Material zur Veranschaulichung. Die einzelnen Kapitel sind übersichtlich, auch verliert sich die Sprache nicht in dem sonst üblichen Expertendialekt.
Einzelne Aspekte werden durch Beispiele sehr unterschiedlicher Regionen aus verschiedenen Erdteilen behandelt. So sollen Schüler am Exempel Mallorca die Nachteile des Massentourismus für die lokale Bevölkerung und die Natur erkennen und sensibilisiert werden, selbst Lösungen für einen nachhaltigen, »sanften« Tourismus zu finden. Diese Arbeit von Karl Hoffmann gibt konkrete Unterrichtsvorschläge, die nach Klassenstufen geordnet, als Vorlage für den Geographieunterricht hilfreich sind. Interessant ist zudem der Zusammenhang zwischen der touristischen Problematik mit aktuellen internationalen Phänomenen. Dies zeigt Hartmut Lücke in seinem Beitrag »Der Fall Korsika. Tourismus oder Terrorismus?«
Schade nur, dass thematische Überschneidung der Beiträge dann doch an der einen oder anderen Stelle ermüden. Auf jeden Fall ist diese Sammlung für die Gestaltung eines interessanten Erdkunde-Unterrichts zu empfehlen, denn die gängigen Geographiebücher bieten hier bekanntlich wenig.
Mit der harschen Aufforderung Hose zu und Finger weg! stellte sich die Ev. Jugend im Rheinland als erster Jugendverband aus einem Land der Täter solidarisch an die Seite von sexuell ausgebeuteten Kindern und Jugendlichen. Und beließ es nicht bei wohlfeilen Appellen, sondern führte in den Jahren von 1999 bis 2002 Aktionen im öffentlichen Raum durch und entwickelte Materialien, die jetzt in einem Handbuch zugänglich gemacht werden.
Herausgekommen ist weit mehr als einer der üblichen, im Grunde langweiligen Projektberichte. Das fängt bei der Form an: Kein aus schlecht lesbaren Kopien mit Schere und Prittstift zusammengeschusterter ›Reader‹, sondern ein Hardcover-Buch, das man gerne in die Hand nimmt: Professionell layoutet, mehrfarbig, klar und augenfreundlich gegliedert. Auch die inhaltliche Gliederung lässt den Leser nicht allein: Bei den sechs sinnvoll aufeinander bezogenen Hauptabschnitten ›Mitdenken - Mitreden - Mitmachen - Weitermachen - Weiterdenken - Weitersuchen‹ verliert man nie die Orientierung. Im Kapitel ›Mitdenken‹ wird das Thema sexualpädagogisch und als Thema ev. Jugendarbeit, insbesondere der Jungenarbeit, verortet. Unter ›Mitreden‹ erhält man knappe, aber sinnvoll ausgewählte Informationen u.a. über die Themen Sextourismus, Kinderprostitution, Kinderhandel, Kinderpornografie.
Im Hauptteil ›Mitmachen‹ werden die verschiedenen Projekte der Ev. Jugend im Rheinland zur Aktion dokumentiert und zum phantasievollen Nachmachen animiert: Z.B. der Postkartenwettbewerb, eine Wanderausstellung, die Fotoaktion ›Zeig dein Gesicht‹, Aktionsstand, Medienkoffer und Homepage. Oder die Aktion ›Aktiv für Kinderrechte‹ denn Kinderrechte sind Menschenrechte (vor dem Hintergrund, dass in Deutschland die Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention immer noch nur unter Vorbehalten geschehen ist). Aber auch die Ergebnisse des Internationalen Jugendkongresses in Manila, an dem vier junge Männer aus der Ev. Jugend im Rheinland teilnahmen, werden hier dokumentiert.
In den Kapiteln ›ªWeitermachen‹ und ›Weiterdenken‹ wird deutlich, dass die Aktion natürlich im Jahr 2002 nicht zu Ende sein konnte: Projektvorschläge und Ideen, politische Forderungen und Möglichkeiten des gesellschaftlichen Engagements werden hier aufgezeigt. Ein Schatz für den inzwischen reichlich motivierten Leser schließlich ist im Kapitel ›Weitersuchen‹ versteckt: Die wichtigsten Webseiten, Literatur-, Medien- und Materialhinweise und Bezugsquellen. Dass dennoch ein paar Wünsche offen bleiben, liegt wohl weniger an den Verfassern, sondern am zur Verfügung stehenden Budget: Ich hätte gerne mehr von den Beiträgen aus dem Postkarten-Wettbewerb gesehen, am liebsten in Vierfarbdruck (Immerhin: Wer nicht den Ausstellungskatalog besitzt oder die Ausstellung bestellt: Alle Bilder sind veröffentlicht unter http://www.ekir.de/hose-zu.) Und den Theorieteil hätte ich mir gerade im Hinblick auf die notwenig weitergehende Diskussion in der ev. Jugend etwas weniger lakonisch gewünscht.